Düsseldorf Tonhalle: Igor Levit und das Glück des Gelingens

Düsseldorf · Einmal - der Flügel grummelt bodenlos im Tenorregister herum - legt Igor Levit sich zu Tische. Sein Oberkörper scheint auf dem linken Arm zu ruhen, der Ellbogen fast auf dem Sitz des Klavierhockers, ganz nah am Bauch rumpeln und pumpeln die flinken Finger durchs Presto der F-Dur-Sonate op. 10. Virtuos grollt das Non-Legato. Ein - bei aller spieltechnischen Vertracktheit - irgendwie gemütlicher Moment an diesem so bedenkenswerten Abend in der Tonhalle.

Es ist der fünfte Teil dessen, was ein Großplakat von der Kuppel weithin über den Rhein verkündet: "Levit spielt Beethoven". Diesmal heißen die Sonaten nicht "Pathetique" oder "Waldstein", diesmal ist pure, nicht in den Hitlisten geführte Kunst mit den Ohren und möglichst wachem Geist zu bestaunen. Und zu bejubeln. Denn Levit liebt den Augenblick.

Das ist die vielleicht größte Gabe dieses erst 29-jährigen Pianisten, dass er diese 32 Monumente der Klavierliteratur nicht einfach nur vorführt, sie in ihrer je eigenen Struktur sezierend offenlegt und gestaltend zusammenfügt. Sondern dass er die epochale Genialität, mit der Beethoven die Musikgeschichte vom höfischen Rokoko ins revolutionäre Zeitalter des Bürgertums trieb, mit den Mitteln unserer Zeit wiederbelebt. Levits Beethoven weiß schon in der ganz frühen A-Dur-Sonate op. 2 von Mendelssohn oder auch Debussy, wenn er etwa die Arpeggien des Scherzo in einen flirrenden Klangnebel hüllt.

Der Deutsch-Russe liebt Extreme: die der Dynamik, die vom unhörbar Zarten bis zum krachenden Donnern reicht; die der Artikulation, die schroff vom singenden Volkston in eine Hackfleischorgie münden können. Extrem wählt er die Tempi, beispielsweise die der langsamen Sätze wie das unglaublich intensive Largo e mesto aus op. 10,3. Extrem emotionalisiert behaupten die Beethoven'schen Motive, Themen, Melodien bei Levit vor allem eins: Individualität.

Das ist nichts für Formalisten, zumal Levit sich alle Freiheit nimmt, seine Interpretation auch aus dem Augenblick heraus entstehen zu lassen. Ihm dabei zu folgen, ist nicht immer leicht, weil die Reise einer Achterbahnfahrt gleichkommt. Der Genuss aber ist phänomenal. Und wenn Levit seine Freude am besonderen Gelingen (etwa am Ende des Allegro der op. 31,3) mit einem nach innen gerichteten Lächeln äußert, versteht man, warum dieser Mann alles will: den ganzen Beethoven, die ganze Welt. Nach wilder Jagd des finalen Presto con fuoco tobt der Saal, Schuberts Moment musical in As-Dur dient als besinnliche Pointe.

(RP)
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