Autor von "Vermessung der Welt" und "Tyll" So war Daniel Kehlmanns Lesung in Düsseldorf

Düsseldorf · Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat im ausverkauften Central seinen Bestseller "Tyll" über den Dreißigjährigen Krieg vorgestellt. Die Hauptfigur basiert auf Till Eulenspiegel - hat aber auch etwas Teuflisches.

 Am Stehpult und mit angenehmer Wiener Sprachmelodie las Daniel Kehlmann zwei Kapitel seines Buches vor. Der Held daraus ist mit Tyll Ulenspiegel verwandt.

Am Stehpult und mit angenehmer Wiener Sprachmelodie las Daniel Kehlmann zwei Kapitel seines Buches vor. Der Held daraus ist mit Tyll Ulenspiegel verwandt.

Foto: Bauer

Die Lesung von Daniel Kehlmann aus seinem Roman "Tyll" zog viel Publikum an. Dafür hätten die Räumlichkeiten des Veranstalters, der Literaturhandlung Müller & Böhm im Heine Haus, bei weitem nicht ausgereicht. Wie schon bei früheren Anlässen bekam der geladene Schriftsteller deshalb seinen Auftritt im Central, wo der große Saal am Mittwoch ausverkauft war. "Was ist das heute Abend", fragte Rudolf Müller. "Sind wir die Avantgarde oder die Eröffnung des Karnevals?" Damit spielte er auf den Narren an, den Kehlmann in seinem Epos vom Dreißigjährigen Krieg zum Helden machte. "Tyll", verwandt mit dem aus der Legende bekannten Provokateur Tyll Ulenspiegel, ist eingebunden in ein saftiges, verstörendes, aber auch komisches Geschehen.

Zunächst streifte Lothar Schröder, Kulturchef der Rheinischen Post, das Schaffen des in Wien und New York lebenden Gastes und beleuchtete die Bedeutsamkeit seines im Oktober 2017 erschienenen Bestsellers für das Jahr 2018: "Das Interesse gilt dem Gemetzel, das vor 400 Jahren seinen Anfang nahm, über Mitteleuropa blutig hinwegzog und es in seinen Grundfesten erschütterte." Vielleicht könne nur ein Narr von dem Irrsinn dieser Welt berichten, meinte er.

Am Stehpult stellte Daniel Kehlmann die zwei Kapitel vor, die er lesen würde, und führte die Hauptfiguren ein. Seine Stimme mit angenehmer Wiener Sprachmelodie nahm die Zuhörer mit in den Krieg. Dessen eigentlicher Auslöser war Friedrich V., König von Böhmen. Entmachtet und zum Gespött geworden, bittet er beim Schwedenkönig Gustaf Adolf um Truppen, weil er Prag zerstören will. Eindringlich schildert Kehlmann die grausige Situation in dem Feldlager mit seinem weißen Wabern und Wogen. Überall Kot, Wunden, Gestank, tote Kinder. Friedrich, der selber nicht gut riecht, muss würgen und fällt gar in Ohnmacht. Als seinen Begleiter lernen wir den Hofnarren Tyll kennen. Ein lustiger Geselle mit hellblauen, fast wässrigen Augen, durch deren Pupille man ins Innere seiner Seele blicken kann. Kühn verspricht er, einem Esel das Sprechen beizubringen, und macht seinem ungeduldigen Herrn weis: "Das i und das a haben wir schon."

Zwischen den beiden Kostproben aus dem Roman verriet Kehlmann im Gespräch mit Lothar Schröder, warum er seinen Narren erdachte: "Er kam mir ganz natürlich vor. Ich wollte einen Roman über den Dreißigjährigen Krieg schreiben. Da musste jemand sein, der beweglich war und überall hinkommen konnte. Das waren damals nur die Gaukler und Vaganten." Der ursprüngliche Tyll sei keiner gewesen, der den Leuten den Spiegel vorgehalten hätte, sondern "ein asozialer Mann, der schlimme Dinge anstellt, zu Brutalem und Gemeinem fähig ist. Wie ein Teufel, an den ja auch die Hörner seiner Schellenkappe erinnern." Diese Zwiespältigkeit werde auch durch die Horrorclowns untermauert oder durch die Faszination an Stephen Kings Schauerroman "Es". Selbst die vielzitierte Narrenfreiheit habe ihre Tücken: "Er kann zwar alles sagen, wird danach aber vielleicht umgebracht."

Historische Details zu beherzigen und getreu wiederzugeben, sei ihm wichtig gewesen, versicherte Daniel Kehlmann, weit mehr noch als bei seinem Bestseller "Die Vermessung der Welt". Auch auf die Feinheiten der Etikette bei Hofe habe er penibel geachtet.

Lothar Schröder erinnerte den Schriftsteller an ein Interview, das er nach Erscheinen des Buches mit ihm führte. Tyll sei seine bisher rätselhafteste Figur, habe er damals gesagt, er verstehe ihn selber nicht. Ob das nun anders sei? "Er ist jetzt mit mir fertig", antwortete der Schriftsteller. "Ich habe das Gefühl, er ist weitergezogen. Er braucht mich nicht mehr."

(RP)
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