Düsseldorf Ransmayr erzählt Ungeheuerliches

Düsseldorf · Der Autor verbindet in seinem neuen Werk "Cox" Fiktion und Realität.

 Ransmayr 2013 bei einer Lesung in Düsseldorf.

Ransmayr 2013 bei einer Lesung in Düsseldorf.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Die Lesung des österreichischen Schriftstellers Christoph Ransmayr begann mit einigen Minuten Verspätung. Eine Klitzekleinigkeit, völlig belanglos in unserer Zeit. Aber eine Ungeheuerlichkeit in Ransmayrs Romanwelt.

Die spielt nämlich im China des 18. Jahrhunderts mit einem Gottkaiser, der gnadenlos über jede Sekunde seines Reiches verfügt. In "Cox - eine Uhr für die Ewigkeit" regiert jener Qiánlóng ein Imperium, das "ein bis auf Herzschläge, Atemzüge und Kniefälle geregeltes, höfisches Leben nicht anders umfasste als ein ziseliertes Gehäuse das Räderwerk einer Uhr". Und der englische Uhrmacher Alister Cox soll ihm nie gesehene Werke nach seinen Träumen schaffen.

Seit Wochen war klar, dass die Literaturhandlung "Müller & Böhm" bei diesem Autor mit ihrem Lesesaal auf der Bolkerstraße nicht auskommen würde. Man buchte die kleine Bühne des "Central", und auch dort war jeder Platz besetzt. Ransmayr liest nicht häufig vor Publikum, seine Auftritte aber sind ein Ereignis.

Schon nach kurzer Zeit wurde der Theaterraum mit abgedunkeltem Zuhörerteil und einem beleuchteten Lesetisch zu einem Kosmos der Monstrositäten, des unglaublich Anderen, eines Orients wie aus "1000 und einer Nacht".

Bereits in der Eingangsszene, die der Autor mehr "hörspielte" als las, ging es um Ungeheuerliches. In der unter Nebel verhangenen Stadt Hángzhou findet eine Hinrichtung statt. 27 betrügerischen Beamten werden die Nasen abgeschnitten. Während sich die Raben im Wehgeschrei der Opfer auf die blutigen Fetzen stürzen, segelt der Dreimaster "Sirius" in die Hafenbucht. An Bord der englische Uhrmacher samt Gehilfen und eine Arche Noah voll metallener Wundertiere. Strafapparat und Zeitkompetenz laufen synchron.

Christoph Ransmayr erzählte, wie er bei einer Chinareise wegen verpatzter Flugreservierung für eine Woche in Peking steckenblieb. Und wie er dort als Zeitvertreib in der Verbotenen Stadt eine Ausstellung herrlicher Uhren besuchte. Auf einem dieser Chronographen las er den Namen Cox. Sein parabelartiger Roman vermischt also Dichtung und Wahrheit. Ähnlich ist es mit dem Erzählton.

Gerade hat man sich an die elegischen Sätze gewöhnt - an eine Winduhr, "die das wellenförmige Gleiten, das an- und abschwellende Rauschen und selbst den Stillstand der Lebenszeit eines Kindes spürbar machen und messen konnte" -, da kontert der Schriftsteller mit "stinkenden Hafenbecken" und menschlichen "Säuen, denen man besser die Schwänze abschneiden sollte".

Überrascht konstatiert man, wie gut diese "Tonstörung" in die Handlung passt. Und applaudiert begeistert am Ende einer wahren Zauberstunde.

(RP)
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