Düsseldorf "Otello" wird zur Kopfsache

Düsseldorf · Michael Thalheimer inszeniert "Otello" an der Rheinoper als psychologisches Spiel. Der gefeierte Regisseur will Verdis Meisterwerk als Hirngespinst auf die Bühne bringen. Am Samstag ist Premiere.

 Szene aus einer Probe zu "Otello" mit Zoran Todorovich, das nun in der Rheinoper aufgeführt wird. Regisseur Michael Thalheimer hält die Bühne ganz in schwarz und nennt sie einen "Hirnkasten".

Szene aus einer Probe zu "Otello" mit Zoran Todorovich, das nun in der Rheinoper aufgeführt wird. Regisseur Michael Thalheimer hält die Bühne ganz in schwarz und nennt sie einen "Hirnkasten".

Foto: Hans Jörg Michel

Michael Thalheimer hat wenig Zeit. So hochkonzentriert wie seine Regiearbeiten ist auch sein Terminkalender. Es ist ein Uhr, um halb zwei beginnt die Klavier-Hauptprobe zu "Otello". Thalheimer ist dennoch entspannt. Und auf den Punkt. ",Otello' wollte ich eigentlich nie machen. Shakespeare ist immer so ausufernd.", sagt er. "Und die Intrige des Jago erscheint irgendwie hanebüchen. Verdi aber entwickelt die Desdemona als wirklich starke Frauenfigur zum Gegenpol und das Credo Jagos, diese glühende Liebeserklärung an das Nichts, zum Zentrum der Oper." Und dann sagt der just aus Frankfurt mit der Bahn angereiste Starregisseur noch: "Ich kenne keine Oper, die düsterer, manischer, klaustrophobischer ist als ,Otello'."

Thalheimer ist für seine gerne provozierende, extrem reduzierte Regie berühmt. Gerade am Thalia-Theater in Hamburg hat er wegweisende Arbeiten abgeliefert, die ihn zum Dauergast bei den deutschen Theatertreffen machten. Seit 2005 inszeniert der Mann, der mit seinem "Faust" vom Deutschen Theater Berlin auch mal in Düsseldorf zu Gast war, auch Opern. Sein "Otello", Verdis meisterhaftes Spätwerk, feierte an der Opera Vlaanderen in Antwerpen im Januar Premiere. An der Rheinoper setzt der 51-Jährige sein Konzept mit dem hiesigen Ensemble unter Generalmusikdirektor Axel Kober im mitgebrachten Szenenbild um. Bereits vor fünf Jahren fädelte Intendant Christoph Meyer den Coup ein, den vielfach ausgezeichneten Mann ans Haus zu holen.

Von Reduktion will Thalheimer nichts wissen. Da sei nichts gestrichen in Verdis Partitur, bis auf die Kinderszene, sagt er. Er habe sich auf die Titelfigur konzentriert und gefragt: "Was im Kern macht den Otello aus? Und wie bedingt, forciert diese verlogene, auf ihren eigenen Vorteil bedachte zyprische Gesellschaft das Denken, Erleben und Handeln des Außenseiters, der Otello als Fremder ist?" Thalheimer formuliert Sätze wie: "Otellos größter Feind ist Otello selbst"; oder: "Jede Gesellschaft liebt den Erfolg, Schwäche wird sanktioniert", um deutlich zu machen, dass Jagos aus der Lust am Zerstören gespeiste Intrige auf fruchtbaren Boden fällt. Desdemona, als hohe Repräsentantin der zyprischen Gesellschaft, sieht der Regisseur auf der Flucht hin zu einer anderen Wirklichkeit.

All diese Überlegungen führten Thalheimer zu der psychologisierenden Idee, alle Figuren aus dem Kopf Otellos zu entwickeln. Die Oper als Alptraum, der Konflikt mit Jago als Kampf zweier widersprüchlicher Aspekte in einem Hirn. Auf der Bühne habe das einerseits die Folge, dass Otello und Jago eigentlich immer in der Szene anwesend sind. Andererseits sei die Bühne ein schwarzer, leerer Guckkasten - "Hirnkasten", sagt Thalheimer -, durch dessen versteckte und überraschende Öffnungen der Konflikt befeuert werden soll, den die Oper mit solch großer Sogkraft verhandelt.

Großen Wert legt der Regisseur darauf, dass nie der Eindruck erweckt wird, ein Weißer spiele auf der Bühne einen Schwarzen. Er wählt als Maske das Bild vom Schwarzen Loch, Symbol für den an Gedanken und Gefühlen nagenden Nihilismus, das sowohl Otello als auch seinem Gegenspieler ins Gesicht geschminkt ist.

Trotz der Übernahme aus Antwerpen wird der "Otello" in Düsseldorf wie eine Neuproduktion behandelt. Es gibt also genügend Zeit für den Regisseur, sich auf für ihn neue Solisten einzulassen. "Da ändert sich im Detail noch eine ganze Menge", sagt er. Boris Statsenko bezeichnet er euphorisch als "Glücksfall" für die Inszenierung, ihm sei die Figur des Jago geradezu auf den Leib geschrieben. Jacquelyn Wagner, die zuletzt als "Arabella" das Düsseldorfer Publikum verzückte, gibt ihr Rollendebüt als Desdemona. In der Titelpartie alternieren die Tenöre Zoran Todorovich und Ian Storey. "Die Arbeit mit diesen neuen Persönlichkeiten treibt unsere Konzeption voran", sagt Thalheimer zu seiner ersten Arbeit an der Rheinoper. Und dann treibt es ihn selbst an die Arbeit, auf die Bühne, zu seinem neuen Werk. Unaufgeregt und konzentriert. Die Proben laufen gut bislang. Um 18.22 Uhr geht der Zug zurück nach Frankfurt.

(RP)
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