Düsseldorf Musizieren im Stuhlkreis

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Symphoniker und das russische Persimfans-Orchester traten in der Tonhalle ohne Dirigenten auf.

 Ohne Dirigenten am Pult orientierten sich die Musiker beim Konzert in der Tonhalle um - zum Stuhlkreis.

Ohne Dirigenten am Pult orientierten sich die Musiker beim Konzert in der Tonhalle um - zum Stuhlkreis.

Foto: Susanne Diesner

Als leibhaftig Lenin mit Schlägermütze, Daumen in der Weste und Hand in der Hosentasche nach Uwe Sommer-Sorgentes Anmoderation durchs Parkett stiefelt, rumort es doch vernehmlich in der Tonhalle. Zum Besuch des legendären, 2008 wiederbelebten Persimfans-Orchesters aus Moskau im 100. Jahr der Oktoberrevolution spricht und empfindet das Publikum mehrheitlich russisch. Manchen wird ein Schreck in die Glieder gefahren sein, bevor der Scherz wirkt und "Lenin" Kontrabass spielt. Überhaupt ist an diesem Wochenende eine Menge anders in Düsseldorfs musikalischem Kraftzentrum. Das sind nicht bloß die (geleerten) Wodkaflaschen, die an Schnüren zu einer Glasorgel im Foyer zusammenhängen, oder die Drahtfeder an einer Stuhllehne, die eine Art proletarisches Saiteninstrument darstellt. Neu ist auch, dass die Musiker auf der Bühne dem Publikum den Rücken zuwenden. Dabei veranstalten sie ein Spektakel wie tausend Russen.

Zumindest bei Yuliy Meitus' "Dneprostroi"-Suite, eine Hommage an den einst größten Stausee der Welt. Die Harfe schlägt Wellen, großes Blech und massenweise Schlagwerk verherrlichen das monumentale Bauwerk, bis martialisch das gesamte Orchester zum Schlussakkord drängt. Meitus' Werk weiß um seine Wirkung. Dass die knapp 90 Instrumentalisten ohne Dirigent agieren, hört man nicht, dafür sieht man Geigerinnen heftig auf ihrem Stuhl im Takt wippen und diesen Puls an die Nachbarn weitergeben, mal winkt ein Kontrabassist heftig mit dem Kopf, mal reagieren die Musiker auf eine Bewegung des Flötisten, der ziemlich im Zentrum des riesigen Stuhlkreises sitzt.

Das Proben sei doch ziemlich langwierig, wenn jeder seine Ideen einbringt, vergleicht Symphoniker-Cellist Martin Holtzmann die experimentellen Probentage mit dem normalen Geschäft. Fasziniert scheint er dennoch von dieser herrschaftsfreien Art des Musizierens zu sein. Bei der Arbeit erkennt man ihn und seine knapp 50 Kollegen daran, dass sie weniger individuell gekleidet sind als die Gastmusiker aus Russland und eher steif vor den Pulten sitzen. Gemeinsam erzeugen sie trotzdem einen professionellen Klang.

Raritätensucher kommen auf ihre Kosten: Ivan Wyschnegradsky hat Etüden für zwei Klaviere im Vierteltonabstand geschrieben, die Peter Aidu gleichzeitig spielt - formal radikale, klanglich allerfeinste Kammermusik -, und ein Klavierkonzert, das mit großer Besetzung sehr intim sein kann. Eine archivale Sensation ist Edmund Meisels Musik zum Stummfilm "Panzerkreuzer Potemkin" und gänzlich skurril eine Harmoniemusik-Fassung der Zauberflöte-Ouvertüre, die in der Rotunde zu rhythmisch passend geschnittenen Filmszenen vom Leben in Moskaus Straßen in den 20er Jahren erklingt.

(RP)
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