Ex-Bandmitglied im Interview "Kraftwerk hat die Poesie verloren"

Düsseldorf · Die Menschlich-Maschine: Das frühere Bandmitglied spricht über seine 16 Jahre bei Kraftwerk und die Umstände des Ausstiegs.

 "Düsseldorf war in den 60er und 70er Jahren der beste Ort der Welt", sagt Karl Bartos (65). Inzwischen lebt er in Hamburg.

"Düsseldorf war in den 60er und 70er Jahren der beste Ort der Welt", sagt Karl Bartos (65). Inzwischen lebt er in Hamburg.

Foto: Al Overdrive

Der Schlagzeuger Karl Bartos gehörte zur klassischen Kraftwerk-Besetzung, die zwischen 1975 und 1986 fünf große Alben eingespielt hat. 1991 verließ er die Band nach 16 Jahren. Seither produziert er eigene Musik. Nun hat der 65-Jährige, der inzwischen in Hamburg lebt, seine Autobiografie veröffentlicht. Darin erzählt er auch von Differenzen zwischen ihm und den Band-Gründern Ralf Hütter und Florian Schneider, von Streits über Lizenzen und Beteiligungen. Bartos stellt "Der Klang der Maschine" jetzt im Zakk vor.

Sie schreiben in Ihren Erinnerungen, dass der erste Akkord des Beatles-Songs "A Hard Day's Night" für Sie wichtig war. Warum der?

Bartos Vorher hatte ich bloß Klänge und Geräusche gehört, lediglich akustische Informationen wahrgenommen. Von diesem Augenblick an veränderte Klang seine Bedeutung. Er war nicht mehr nur Information, sondern hat Gefühle in mir ausgelöst. Ich war zwölf Jahre alt. Musik sprach plötzlich mein tiefstes Inneres an. Man kann sagen: Seit diesem Akkord spricht Musik zu mir.

Finden Sie eigentlich, Ringo Starr ist ein guter Schlagzeuger?

Bartos Absolut. Wer da Zweifel hat, möge sich "A Day In The Life" anhören. Was er da spielt, ist so verrückt! Ringo ist innovativ. Er macht keine Show. Er stellt sich in den Dienst des Songs. Ringo erkennt man sofort, und das ist schwer beim Schlagzeug.

Was ist der Grund für Erfolg und Einfluss von Kraftwerk?

Bartos Vielleicht liegt es auch ein wenig daran, dass wir keine Grenzen zwischen Musikstilen kannten. Die Romantik galt uns ebenso viel wie die Tonbandexperimente der Musique concrète und die Popmusik.

Sie kommen im Buch immer wieder auf Pink Floyd zu sprechen.

Bartos Ja, die Stücke "Echoes" und "On the Run" sind ein wichtiger Einfluss. Ich wollte im Buch die Quellen der Kraftwerk-Ideen auflisten. Das Konzept der "Mensch-Maschine" zum Beispiel stammt aus dem Film "Metropolis". Die Idee der Musiker als Wissenschaftler stammt von Pierre Schaeffer. Und so weiter.

Wie war die Rollenverteilung?

Bartos Ralf Hütter war der intellektuelle Mensch. Florian Schneider war der wilde, erratische Typ. Wolfgang Flür war unheimlich warmherzig. Und ich kam mit meiner klassischen Ausbildung dazu.

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Foto: Endermann

Was hat das Gefüge ins Ungleichgewicht gebracht?

Bartos Es gibt viele Gründe für das Erstarren unserer Schöpfungskraft. Der Extremsport spielte beispielsweise eine Rolle. Es ging nur noch ums Radfahren, das versportlichte unser musikalisches Denken. Und dann war da die Apotheose der Maschine: Meine beiden früheren Kollegen glaubten, dass der Computer als Instrument so genial ist, dass man ihn nur antippen muss, und die Musik spielt sich von selbst. Sie vergöttern technische Mittel.

"Electric Café" von 1986 ist für Sie Symptom der geschwundenen Originalität Kraftwerks. Für mich ist es die einflussreichste Platte nach "Trans Europa Express". Liege ich falsch?

Bartos Jeder hört Klang anders, das ist das Geheimnis von Musik. Viele Musiker halten gerade dieses Album für etwas Besonderes. Sehen Sie: Ich bezeichne die Phase vor Entstehung der Platte als Phase der autonomen Fantasie, in der wir uns daran orientierten, wie die Musik zu uns sprach. Wir haben in Writing Sessions Ideen entwickelt. Während der Produktion von "Electric Café" orientierten wir uns mehr und mehr an der Musik der schwarzen Kollegen aus den USA. Auf diese Weise veränderte sich unsere Arbeit Richtung Musikdesign, wir produzierten Gebrauchsmusik für den Dancefloor.

Was machen die Kraftwerk-Musiker eigentlich auf der Bühne? Die Musik ist doch vorher schon fertig, oder?

Bartos Früher haben wir tatsächlich live gespielt. Wir haben improvisiert wie Jazzmusiker. Als dann um 1986 der Computer hinzukam, haben wir uns auf Copy & Paste verlegt und darauf, Tonspuren an- und auszuschalten. Das waren dann nur noch Schein-Improvisationen. Die Musik verlor ihre Poesie.

Warum waren 1981 beim Kraftwerk-Konzert in der Philipshalle nur 1800 Leute. Was war los mit Düsseldorf?

Bartos Ich habe es auch nicht begriffen. Dabei hatten wir damals die beste Kraftwerk-Inszenierung aller Zeiten. Aber man muss sehen: Wir hatten bis 1990 zwar international einen guten Ruf und gute Kritiken, vor allem in England. Aber in Deutschland gab es oft Verrisse und auch keine wirklich großen Plattenverkäufe. Außerdem sind wir einfach nicht regelmäßig genug aufgetreten. Die Wende kam erst vor ein paar Jahren mit den Auftritten im MoMA in New York. Seitdem ist Kraftwerk scheinbar sakrosankt.

Hütter und Schneider waren die Chefs. Sie hingegen hatten den Status eines eigenständigen Unternehmers mit dem einzigen Kunden Kraftwerk. Warum ließen Sie sich das gefallen?

Bartos Ich war jung. Ich war in den letzten Semestern am Schumann-Konservatorium. Meine Laufbahn schien vorgezeichnet. Ich wäre wohl Professor für Schlagzeug geworden. Aber das Kraftwerk-Ding hatte Anziehungskraft. Und Ralf und Florian waren damals ja noch anders als 15 Jahre später. Erst später kamen die unangenehmen feudalen Strukturen deutlich zum Durchbruch.

War es Naivität?

Bartos Ich war naiv im kaufmännischen Bereich. Und ich habe Ralf und Florian wie ältere Brüder betrachtet. Außerdem hat mich der internationale Erfolg beeindruckt.

Haben Sie Kraftwerk nach Ihrem Ausstieg live gesehen?

Bartos Ja, in Hamburg.

Haben die Kollegen Sie eingeladen?

Bartos Ich habe das Ticket selbst gekauft.

Coldplay benutzte 2005 für den Song "Talk" die Melodie von "Computerliebe". Hat das Zitat Sie reich gemacht?

Bartos Nein. Das Stück hat zu viele Autoren. Aber es war schon eine warme Dusche. Es hat vermutlich viel mehr eingespielt als Kraftwerk je mit Tonträgern umgesetzt hat.

Können Sie von Kraftwerk leben?

Bartos Ich bin kein Millionär. Mein Lebensstandard ist normal. Und ich habe ja nicht aufgehört zu arbeiten. Ich komme gut über die Runden.

Sind Sie glücklich?

Bartos Schwierige Frage. Beim Schreiben habe ich mich oft gefragt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht im Kling-Klang-Studio mitgebastelt hätte. Aber das lässt sich nicht herausfinden, die Zeit bewegt sich ja nur in eine Richtung.

PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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