Düsseldorf Jochen Distelmeyer überzeugt die Skeptiker

Düsseldorf · Bei seinem Konzert im Zakk spielte der Sänger von Blumfeld englischsprachige Popsongs nach.

Jochen Distelmeyer ist gut drauf. Fast schon zu gut. Ziemlich aufgekratzt nämlich tritt er vor das erwartungsvolle Publikum im randvollen Club des Zakk und scherzt: "Ich wollte heute eigentlich die angesagten Szene-Orte auschecken und hab den Ratinger Hof gesucht - gibt's nicht mehr!" Er sei dann im Uerige gelandet - "auch spannend, kennt ihr das?" Ein paar Köpfe nicken, die meisten schauen irritiert. Der mittlerweile in Berlin beheimatete Songwriter ist vielen hier ein Idol, weil er als Kopf der Band Blumfeld die deutschsprachige Popmusik revolutioniert hat. So wie er hatte noch niemand über die Verlorenheit und Entfremdung des Individuums in der Gesellschaft gesungen.

Sein neues Projekt haben langjährige Fans dementsprechend skeptisch aufgenommen: Für das Album "Songs From The Bottom Vol. 1" hat Distelmeyer ausschließlich akustische Versionen englischsprachiger Popsongs aufgenommen. Und auch wenn er sich mit seiner Band Blumfeld und dem ersten Solo-Album immer mehr von sperrigem Indie Rock in Richtung großer, eingängiger Pop-Arrangements bewegt hat, überrascht es doch, wenn er auf einmal "Video Games" von Lana Del Rey singt. Im Zakk ist die Stimmung zu diesem Zeitpunkt allerdings schon gelöst und in den Applaus mischen sich verdiente Jubelschreie. Wie hoch er im Refrain ins Falsett steigt, das ist beachtlich und hebt die Grenze zwischen männlichen und weiblichen Zuschreibungen in der Popmusik - so man sie überhaupt ziehen mag - komplett auf. Distelmeyer, der ein Blümchenhemd trägt und sich gern die langen, blonden Haarstränen aus dem Gesicht schüttelt, beschränkt sich bei weitem nicht auf die Songs des Albums: Er spielt auch "Tragedy" von den Bee Gees oder eine von seinem Keyboarder mit knackigem Wurlitzer-Sound angeschobene Version von Supertramps "Take The Long Way Home".

Den größten Jubel bekommt er im Zugabenblock für alte Blumfeld-Nummern, die auch im akustischen Arrangement funktionieren: Eine politisch-philosophische Nummer wie "Ich - wie es wirklich war" begeistern wie der natur-lyrische Song "April". Als er zum Ende den späten Beatles-Song "Free As A Bird" spielt, legt der Sänger seine Ironie ganz beiseite und lehrt: "Paul McCartney hat immer ein Beispiel für Loyalität und Freundschaft gegeben. Ein unterschätzter Musiker." Vielleicht ist so sein ganzes Projekt zu verstehen: Es ist eine Verneigung vor Pop-Künstlern, deren Werk oft als seichte Kost missverstanden wird.

(RP)
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