Düsseldorf Jedes Stück ein Kleinod

Düsseldorf · In "Young Moves" zeigte das Ballett am Rhein sechs Uraufführungen an einem Abend. Die Choreografen kommen aus dem Ensemble.

 Szene aus Chidozie Nzerems "Edge of Reason" mit Marlúcia do Amaral und Marcos Menha.

Szene aus Chidozie Nzerems "Edge of Reason" mit Marlúcia do Amaral und Marcos Menha.

Foto: Gert Weigelt

Mit gewaltigen Sprüngen wirbeln die Tänzer über die Bühne, begleitet von ekstatischem Getrommel. Für seine Choreografie "Edge of Reason" hat Chidozie Nzerem die wilde Jagd nach Beute, Paarungsrituale und Voodoo-Kult in einer fiebrigen Dschungel-Atmosphäre vermengt. Der US-Amerikaner tanzt seit 2009 in Martin Schläpfers Kompanie. Mit fünf seiner Ensemblekollegen bekam er bei "Young Moves" die Chance, seine erste eigenständige Arbeit vor einem großen Publikum in der Rheinoper vorzustellen.

Bei der Premiere ist das Haus respektabel gefüllt, was als schöner Erfolg für das ambitionierte Projekt gewertet werden darf. Wie schon beim Start 2016 in Duisburg, gab es auch bei der Neuauflage in Düsseldorf sechs Uraufführungen zu sehen. Musikalisch höchst unterschiedlich, verdichteten sie sich zu einem spannenden Mosaik.

Choreografin Wun Sze Chan aus Hongkong wählte für "No Destination" einen experimentellen Klangteppich und schickt ihre Tänzer in eine flimmernde Unterwasserwelt - an den Ort, aus dem alles Leben kommt. Die Tänzer erinnern an Amöben oder Schlingpflanzen, bewegen sich, zur geschmeidigen Gruppe zusammengeballt, erst langsam, dann dynamisch, gleich einer Geburt. Dazu hört man tiefes Atmen. Für alle sichtbar tupft der Künstler Walter Padao an der Rampe mit dem Pinsel auf Papiere, die per Video ins Bühnenbild einfließen.

Der philippinische Tänzer Sonny Locsin ließ sich für seine Choreografie "Fourmis" durch die flinke Ameise inspirieren. Und tatsächlich gelingt ihm die perfekte Illusion des großen Krabbelns, stimmungsvoll ergänzt durch Ausschnitte aus dem Streichquartett Nr. 3 von Philip Glass. Winzige Wesen können gemeinsam Großes vollbringen - das ist Loscins Botschaft.

Wunderbar weich und einschmeichelnd: Boris Randzios "Andante Sostenuto". Der Salzburger setzt Ausschnitte aus Franz Schuberts Klaviersonate Nr. 21 ein. Drei Paare, so seine Idee, loten mit Spitzentanz und synchronen Zeitlupenbewegungen die Beziehung von Mann und Frau, von Tanz und Musik aus.

Der Amerikaner Michael Foster steuert mit "East Coasting" Jazziges zum Abend bei. Seine acht Tänzer erscheinen in eleganter 50er-Jahre-Kleidung, als gingen sie zu einer Cocktailparty. Die Feier symbolisiert hier die Wechselfälle des Lebens, die Foster zur Musik von Charles Mingus mal beschwingt, mal schwermütig bespiegelt. Auch eigene schicksalhafte Erfahrungen deutet er in seiner Choreografie an.

Die aufwühlendsten Momente schuf So-Yeon Kim mit "49". Sie thematisiert die 49 Tage währende Trauerzeit um einen geliebten Menschen in ihrer Heimat Korea. Ein Mann, der noch verzweifelt festgehalten wurde, als könne man ihn dem Tod entreißen, stirbt. Das Segel von der Decke schwebt herab und wird zum Leichentuch. Bei der Frau sind nur noch Schmerz und Wehklagen, ihre Beine tragen sie nicht mehr. Es berührt, wie sie von Vertrauten aufgefangen wird, bis sie bereit ist, das Leben wieder anzunehmen. Im Traum erscheint ihr der Verstorbene, als Engel im weißen Flügelhemd mit überlangen raschelnden Ärmeln. Ein faszinierendes Bild, das lange nachwirkt.

Bei "Young Moves" ist jedes Stück ein Kleinod, dargeboten von herausragenden Tänzern. Die meisterhafte Ballettkomposition der jungen Choreografen wurde von einem bemerkenswert kundigen Publikum mit lautstarker Begeisterung honoriert.

(RP)
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