Düsseldorf Ikone in der Tonhalle

Düsseldorf · Der türkische Pianist Fazil Say zog nicht nur Klassik-Fans ins Konzerthaus.

 Fazil Say am Steinway-Flügel in der Tonhalle.

Fazil Say am Steinway-Flügel in der Tonhalle.

Foto: Susanne Diesner

Kaum grummelt Fazil Say im Bass-Register seines Steinways herum, kurz nachdem er sich wieder in den Schweinwerferspot in der Tonhalle gesetzt hat, schon fährt ein Aufschrei der Begeisterung durchs Publikum. Zwei, drei Sekunden ist der voll besetzte Saal hörbar aus dem Häuschen in Erwartung des Mega-Hits des Ausnahmepianisten. "Kara Toprak" - Titel fürs internationale Publikum: "Black Earth" - ist so etwas wie eine Exil-Hymne der längst in Deutschland angekommenen Türken. Ein trauriges, ein starkes Stück Musik, das Say von der Langhalslaute Saz aufs Klavier transponiert hat, indem er mit den Händen in den offenen Bauch seines Instruments fasst und dort die Saiten dämpfend abgreift und zum melancholischen Klang des Nationalinstruments moduliert. Andächtige Stille unterm Kuppelgewölbe, nur die Saaldienerinnen wuseln durch die Gänge, um dieses unselige Smartphone-Geblitze zu unterbinden. Es ist kurz vor zehn an diesem denkwürdigen Abend in der Tonhalle. Und längst ist klar, dass hier kein gewöhnlicher Heinersdorff-Klavierabend über die Bühne geht.

Fazil Say ist so etwas wie ein Popstar. Wunderkind-Pianist, Idol seiner Community, Musiker, der nicht nur mit Mozart und Beethoven etwas zu sagen hat, sondern auch zu Erdogan und Konsorten seine Meinung kundtut. Say komponiert mit Weltverbesserungsanspruch, grandios wie bei seiner "Istanbul-Symphony" oder kammermusikalisch wie bei seinem Werk "The Art of Piano", aus dem er vier Sätze auch in der Tonhalle zum Besten gibt - eine musikalische Hommage an Atatürk, im fröhlichen Stilmix von Jazz und spätester Romantik. Gerade hat er seinen vierten Echo-Klassik erhalten, für die Mozart-Sonaten.

Mit dem zarten Beginn der F-Dur-Sonate KV 332 platzt er denn auch unbarmherzig in die Unruhe hinein, die im Saal ein zu beträchtlichem Teil mit den Usancen eines Klassik-Konzerts wenig vertrautes Publikum verbreitet. Aber von Beginn an gibt er sich der Musik völlig hin und trägt zugleich seine Emotion nach außen. Sein Mienenspiel erzählt beredt von dem, was auch seine Hände allein könnten, indem sie eine wunderbare Vielfalt an Klängen aus dem Steinway zaubern. Says Körpersprache holt die klassische Musik aus dem Elfenbeinturm ins wirkliche Leben. Mozart scherzt, tänzelt, stapft, schwingt sich auf in himmlische Gefilde, trübt sich, hält inne, zweifelt und rauscht auf und davon. Say wippt, tapst mit den Füßen, legt den Kopf in den Nacken und sehnt die Sterne herab.

Das alles geht bei Beethovens "Pathetique" ähnlich zu, ernst, immer authentisch und virtuos selbstverständlich. Saties "Gnossiennes" nach der Pause, ihrem Wesen nach Anti-Musik, geraten Say zu zauberhaften Märchenbildern. Das Publikum ist außer sich. Lange Schlangen gibt es anschließend bei der Autogrammstunde.

(RP)
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