Hannah Dübgen "Ich glaube an die Neugier"

Düsseldorf · Für die in Berlin lebende Autorin Hannah Dübgen ist die Fremde etwas, das die Neugier im Menschen weckt. Das Ankommen und Loslassen spielt in ihren beiden Romanen eine Rolle, die die Perspektiven mehrerer Figuren nutzen.

 Seit 2000 lebt die aus Düsseldorf stammende Schriftstellerin Hannah Dübgen (39) in Berlin. Ihr Debütroman "Strom" wurde mehrfach ausgezeichnet, jetzt liest sie in ihrer Geburtsstadt aus ihrem zweiten Buch "Über Land".

Seit 2000 lebt die aus Düsseldorf stammende Schriftstellerin Hannah Dübgen (39) in Berlin. Ihr Debütroman "Strom" wurde mehrfach ausgezeichnet, jetzt liest sie in ihrer Geburtsstadt aus ihrem zweiten Buch "Über Land".

Foto: Susanne Schleyer / Autorenarchiv

Deutschland, der Gaza-Streifen, der Irak - die verschiedenen, weit verstreuten Handlungsorte machen die Romane Hannah Dübgens international. Universell ist das Thema des Fremden, mit dem sich die Protagonisten auseinandersetzen müssen. Die Autorin im Gespräch.

Ihre Romane "Strom" und "Über Land" haben etwas, das sie verbindet - das Fremde. Was verbinden Sie damit?

Hannah Dübgen Mich interessieren Prozesse des Fremder- oder Weniger-Fremd-Werdens und der Weg aus dem Bekannten ins Unbekannte. Ich glaube, dass Prosa eine angemessene Form ist, um diesen Prozessen ästhetisch nachzuspüren.

Es geht in Ihren Büchern auch immer wieder um den Nahen Osten.

Dübgen Auch, ja. In "Strom" ging es unter anderem um den Konflikt zwischen Palästina und Israel, dass in "Über Land" der Irak eine Rolle spielt, hat aber auch mit den Menschen zu tun, denen ich in Berlin begegnet bin.

Inwiefern?

Dübgen Auslöser war der Ehemann einer Bekannten, der aus dem Irak geflohen ist. Durch seine Geschichte ist mir bewusst geworden, dass man Jahre in Deutschland leben kann und der Prozess des Ankommens in dem neuen Land trotzdem nicht abgeschlossen ist. Aus seiner Fluchterfahrung habe ich eine fiktive Figur entwickelt. Im Rahmen meiner Recherche zum Irak habe ich außerdem gemerkt, was für ein faszinierendes, großes wie enges Land das ist. In den 60ern war es sehr modern, ist dann unter Saddam zur Diktatur geworden und ist momentan sehr zersplittert, voller Unsicherheit.

Ein Land der Widersprüche also?

Dübgen Ja. Auch das wollte ich in "Über Land" darstellen. Mir war aber auch wichtig, dass sich die beiden Protagonisten des Romans auf Augenhöhe begegnen: die junge deutsche Ärztin und die geflohene Irakerin, die stolz ist auf die Tradition, die reiche Geschichte ihres Landes.

Welche Rolle spielen für Sie Ihre Erfahrungen in der Fremde - in Paris, Oxford, in Japan und Italien?

Dübgen Ich empfinde das als große Bereicherung. Dadurch habe ich eine gewisse Angstfreiheit fremden Kulturen gegenüber. Es ist aber schon etwas sehr Anderes, ob man sich entschließt, zum Studium nach England zu gehen, oder gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen. Mein Interesse am Schicksal der Figuren ist nicht direkt aus meiner Auslandserfahrung gewachsen.

Stehen Ihre Figuren auch "angstfrei" der Fremde gegenüber?

Dübgen Das ist unterschiedlich. In "Strom" können die Personen im Gaza-Streifen eine Fremdheitserfahrung nur begrenzt machen, sie erfahren eher große Fremdbestimmung. Mir war wichtig, dass in "Über Land" die irakische Archäologie-Studentin, die in Deutschland ankommt, eine selbstbewusste und neugierige Frau ist, auch um Klischees und stereotype Bilder zu unterlaufen.

Hat jedes fremde Land etwas Bedrohliches?

Dübgen Nicht per se. Das hängt stark von den Erfahrungen ab, die man in der Fremde macht. Es beeinflusst einen, wenn man Zurückweisung erfährt oder hingehalten wird. Viele der Geflohenen leiden ja sehr darunter, dass ihr Asylstatus so lange offen ist. Ich glaube aber an eine intrinsische Neugier des Menschen, sie ist ein Geschenk, und jeder Mensch sollte die Chance haben, sie auszuleben.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Dübgen Am dritten Roman. Ich möchte noch nichts Konkretes verraten, er wird aber auch wieder in der heutigen Zeit spielen und aus mehreren Perspektiven erzählt sein. Die Anfangsszene steht schon.

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

Dübgen Ich arbeite am Text, während mein Sohn in der Kita ist, danach arbeitet der Text in mir weiter. In manchen Phasen lässt er mich gar nicht los, am Ende eines Romans bin ich in einem Tunnel. Bei Reisen zur Recherche oder zu Lesungen zwinge ich mich, das Schreiben nicht schon im Zug wieder aufzunehmen, sondern darüber nachzudenken und einen anderen Blick darauf zu bekommen. Ich empfinde Schreiben nicht als anstrengend, sondern als schön.

Wie blickt Ihre Familie auf ihre Arbeit?

Dübgen Mein Sohn ist fünfeinhalb, er weiß, dass Mama Bücher schreibt. Er wächst damit auf. Mein Mann ist Komponist und arbeitet wie ich phasenweise sehr intensiv. Ich finde es gut, dass wir uns bei der Arbeit Freiräume lassen, spontan entscheiden, wann wir was wie teilen.

Wobei erholen Sie sich am besten?

Dübgen Beim Sport und am Meer. Ich habe eine tiefe, archaische Liebe zum Meer. Ich mag es sehr, wie das Meeresrauschen bei mir alle konkreten Gedanken irgendwann verschluckt. Nirgendwo fühle ich mich so sehr eins mit der Natur. Am Laufen mag ich, dass man dabei in einen Zustand der Entspannung kommt, in dem man trotzdem noch über etwas nachdenken kann, aber auf nicht so bohrende, sondern eher fließende Art.

Was verbindet Sie mit Düsseldorf?

Dübgen Natürlich meine Eltern. Ich habe auch noch Freunde aus Schulzeiten und meine ehemalige Deutschlehrerin hier - eine treue Leserin meiner Romane. Ich gehe gerne ins Schauspielhaus, wo ich mal eine Hospitanz gemacht habe, in die Museen und an den Rhein. Und ich habe in meinem Leben bislang jedes Weihnachten in Düsseldorf verbracht.

OLIVER BURWIG FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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