Düsseldorf Himmlisches Leben mit doppeltem Boden

Düsseldorf · Ádam Fischer dirigierte im städtischen Symphoniekonzert der Tonhalle Sinfonien von Gustav Mahler und Joseph Haydn.

Im Jahr 1899 überkam den Komponisten Gustav Mahler eine seltsame Vorstellung: Er wollte wieder Anfänger sein. Wollte innehalten. Sich besinnen - aufs Kinderglück, auf Naivität und Lauterkeit.

Leichter geplant als gemacht. Seiner neuen Sinfonie, an der er arbeitete, verbot er zwar das schwere Blech, er schulte sie an klassischen Bauplänen und guckte in den Äther seiner Wunderhorn-Lieder, auf "Das himmlische Leben". Plötzlich aber war wieder Sonnenfinsternis vor seinem inneren Auge, Mahler kam nicht aus seiner Komponistenhaut. Das Leichte und Frohe warf wieder unheimliche Schatten. Die Sonatenform hing an Fallstricken. Die Solovioline war schauerlich um einen Ton höher gestimmt, als habe E.T.A. Hoffmann die Wirbel verdreht. Und das Finale ließ er trügerisch in Harfentiefe austropfen.

Und so wurde Mahlers 4. Sinfonie G-Dur zu einem Rätsel, von dem viele nicht glauben, dass in ihr eines gelöst werden müsse. Was diese Rätsel betrifft, gelang Ádam Fischer jetzt im Symphoniekonzert der Tonhalle ein Wunder. Er entwarf mit den phänomenal schön spielenden Symphonikern ein hinreißendes Mahler-Bild, in dem Charme und sardonisches Grinsen, Seligkeit und Albtraum bestechend perspektivisch nebeneinander standen. Dem Orchester glückte schon zu Beginn des Kopfsatzes jenes (von Schellen begleitete) Schlendern, das einen ahnen ließ, dass es irgendwann seine Behaglichkeit verlieren würde. Fischers Intensität war erneut riesengroß, trotzdem gelang es ihm, am Ende des dritten Satzes die Luft aus der Musik zu nehmen und diese himmlischen Streicherakkorde einfach nur in der Luft hängen zu lassen. Der Autor dieser Zeilen gesteht, diesen von allen Orchestern wegen seiner puren, doch gefährdeten Schönheit gefürchteten Satzschluss noch nie so schön gehört zu haben wie in diesem Konzert.

Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller sang ihr Solo wie ein scheues, doch nicht knabenholdes Lied, mit einem Lächeln in der Stimme, dass einem ganz weh und fragend ums Herz wurde. Danach nur noch leere Quinten der einsamen Harfe. Und kolossaler Jubel.

Vor der Pause gab es Joseph Haydns Sinfonie Nr. 103 Es-Dur, die den hübschen Namen "Mit dem Paukenwirbel" trägt. Dieser (einleitende) Wirbel war ein imposanter Moment, der zur kollektiven Schmunzelfreude im Auditorium führte, doch auch die Damen und Herren auf den vorderen Plätzen des Orchesters leisteten Feines. Insgesamt entstand das Bild einer experimentellen Sinfonie, mit überraschenden Volten und Bremsmanövern. Ein Stück, das in die Zukunft weist. Auch in dieser Hinsicht ist die Achse Haydn-Mahler eindeutig eine Achse der Guten.

(w.g.)
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