Düsseldorf Hereinspaziert!

Düsseldorf · Intendant Wilfried Schulz kann ab heute endlich spielen: Im Zirkuszelt am Ende der Kö beginnt seine erste Saison mit "Gilgamesh".

 Zirkusatmosphäre versprüht das Theaterzelt an der Kö: Wilfried Schulz eröffnet heute seine erste Saison als Intendant in Düsseldorf. Und er fühlt sich nicht mehr fremd in der Stadt. Vor der ausverkauften Premiere von "Gilgamesh" heute Abend sagt er: "Alles läuft rund!"

Zirkusatmosphäre versprüht das Theaterzelt an der Kö: Wilfried Schulz eröffnet heute seine erste Saison als Intendant in Düsseldorf. Und er fühlt sich nicht mehr fremd in der Stadt. Vor der ausverkauften Premiere von "Gilgamesh" heute Abend sagt er: "Alles läuft rund!"

Foto: Andreas Bretz

Manchmal fühlt er sich wie ein Zirkusdirektor. Schließlich haben Zirkusleute auch kein festes Dach überm Kopf, sondern müssen sich ihre Arena immer wieder neu aufbauen. So ergeht es auch Wilfried Schulz, der von Dresden weggelockt und als Intendant nach Düsseldorf geholt wurde. Der 64-Jährige sagte zu, das ist schon eine Weile her, am renommierten Schauspielhaus am idyllischen Gustaf-Gründgens-Platz zeitgemäßes Theater zu machen. Alle Seiten schienen davon überzeugt, dass Schulz die Bühne der Landeshauptstadt wieder auf die vordersten Plätze der Hitliste deutscher Theater bringen würde.

Dann aber überschlugen sich die schlechten Nachrichten. Denn Düsseldorf baut um. Und das in der Dimension einer Operation am offenen Herzen. Kritiker sprechen beim Kö-Bogen II gerne von "Größenwahn", unterstellen ein Diktat von Investorengier. Schulz deutet das Ärgernis wohlüberlegt im Spielzeitheft positiv um: "Eine Großbaustelle ist nicht die schlechteste Metapher für Theaterarbeit, signalisiert konzeptionelle Chancen, Investition in die Zukunft (damit sie eine wird), Neugier, Bewegung."

Den noch nicht recht angekommenen Intendanten brachte die Stadt jedenfalls wegen der Kö-Bogen-Erweiterung in Not, denn Theater würde vorerst ohne Theater stattfinden, und selbst dieses Wörtchen "vorerst" erfuhr eine fast untragbare Dehnung.

Die Stadt, die mit dem Land NRW gemeinsam Träger ist, kann sich glücklich schätzen, dass Schulz nicht das Handtuch warf (obwohl er sicher oft kurz davor war). Heute Abend beginnt nun nach all dem Ach und Weh seine erste Spielzeit. Endlich geht es um die Kunst. Im Zirkuszelt läuft "Gilgamesh", Wilfried Schulz breitet kurz vor 19 Uhr die Arme aus: "Hereinspaziert!" Zweimal ist die Premiere ausverkauft, selbst Ex-Kulturministerin Ute Schäfer, die Wilfried Schulz mit verpflichtet hat, wird kommen. Die Lage der improvisierten Bühne könnte besser nicht sein. Am schönen Ende der Kö gab es bisher doch scheinbar alles, was der Mensch an Luxus braucht: Kostbare Juwelen bei Harry Winston, feine Kleider bei Bogner - den VIP-Treffpunkt auf der Steigenberger Terrasse nicht zu vergessen. Bisher hatte niemand bemerkt, dass da eine Leerstelle war. Den Ort zum freien Denken, zum Erleben, Empfinden, Freuen und Diskutieren besetzt jetzt das Schauspielhaus.

Das blaue, vom Thalia-Theater Hamburg ausgeliehene Zelt tut der Sache gut. Beim Besuch am superheißen Vortag bleibt festzustellen: Die Klimaanlage funktioniert. Die Sitzbänke sind bequem, im Halbrund um die Bühne angeordnet wie im Amphitheater. Jeder sieht jeden, das Publikum wird zur Community.

Bei der öffentlichen Probe von "Gilgamesh" stellte sich Begeisterung ein, nur mit dem Sand auf dem Bühnenboden gab es ein Problem. Er spritzte auf die Menschen in den vorderen Reihen. Vorsorglich sollten die Premierengäste in sandfarbener Kleidung erscheinen. Vieles rund um das Theaterzelt muss improvisiert werden. In Baucontainern sind die Garderoben untergebracht, für die Werkstätten wurde genügend Platz geschaffen. Die Stimmung in den Teams ist auf den ersten (außenstehenden) Blick gut, ein Festivalvirus ist ausgebrochen. Es soll Schauspieler geben, die gerne in einer Zelt-Produktion mitmachen wollen, weil alles anregend und anders ist. Duschen und Toiletten gibt es genügend, bei dem kulinarischen Angebot im Umfeld des Corneliusplatzes fällt gar nicht auf, dass es keine Kantine gibt.

Die Idee zum Kö-Standort hatte Kulturdezernent Hans-Georg Lohe, nachdem die Rheinwiesen nicht besetzt werden konnten. Dafür ist ihm Schulz dankbar. Er schätzt die Lage trotz der Verkehrsdichte und denkt schon jetzt über eine neue Zeltsaison im Spätsommer 2017 nach. Ihn stören weder die heulenden Motoren der Ferraris, noch ärgert er sich über den einen Motorradfahrer, der allabendlich seine Maschine in der Kö-Kurve aufdreht. Der Lärm vermengt sich mit der Geräuschkulisse auf der Bühne und passt zum Stück. Manch ein Regisseur würde das als Atmo-Sound einspielen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort