Düsseldorf Haydns "Schöpfung", opulent nach Hollywood verlegt

Düsseldorf · In Haydns Oratorium "Die Schöpfung" geht alles lieblich und wohlgeordnet zu. Das Chaos vor der Entstehung der Welt ist klassisch gebändigt, die Sonne strahlt in hellem C-Dur, die Kühe grasen, das Wetter verhält sich vorhersehbar. Thomas Hengelbrock hat sich nun dieses Werkes angenommen und die Früchte seiner Arbeit mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble im Heinersdorff-Konzert in der Tonhalle vorgestellt.

Ihm schienen die Mittel der Klassik indes nicht zu reichen. Das Chaos in der instrumentalen Einleitung wand sich schleppend von Dissonanz zu Dissonanz, bevor die ersten Worte des Erzengels Raphael in Gestalt des Baritons Tareq Nazmi die Formlosigkeit und Leere durch äußerst fahle Färbung seiner Stimme ausdrückten. Die Chorzeile "Und es ward Licht" überrumpelte dann schier die Zuhörer mit gleißenden Instrumentalfarben und schmetterndem Chorklang.

Die "donnernde" Pauke schob sich in den Vordergrund, und der Löwe brüllte so ausgiebig wie nie. Gegensätze von Verzweiflung und Tod hier und lieblicher neuer Welt dort wurden zwischen den Extremen ausgetragen, die weit über Fortissimo und Pianissimo hinausgingen. Ständige Tempowechsel zerfaserten die Formen. Haydn wurde als Romantiker gedeutet.

Bisweilen bekam die Lieblichkeit der Natur oder das gekünstelte Lob der zwischenmenschlichen Liebe - sicher ungewollt - etwas Parodistisches. Ja, in Joseph Haydns Darstellung steckt eine gewisse Übertreibung; zugegeben, Haydn bediente sich der Musiksprache der Opern seiner Zeit. Vielleicht sind diese Texte und ihre Vertonung heute auch tatsächlich nur noch in der Überzeichnung tragbar. Hengelbrocks Deutung des Oratoriums, insbesondere der ersten zwei Teile, wurde allerdings zu einem Soundtrack eines imaginären knallbunten Animationsfilms aus Hollywood zum Thema "Schöpfung". Mit klassischem Ebenmaß hatte das nichts zu tun.

Die Solisten Camilla Tilling als Erzengel Gabriel, Lothar Odinius (Uriel) und Tareq Nazmi (Raphael) erfüllten die Wünsche des Dirigenten mit großer stimmlicher Hingabe. Im Orchester gab es einerseits historische Blasinstrumente, doch auch eine riesige Besetzung des Streicherapparates (etwa mit zwölf ersten Violinen), die zeigte, dass es Hengelbrock - durchaus in Erinnerung an Haydns Uraufführung, bei der 120 Instrumentalisten mitwirkten - um klangliche Opulenz ging. Diese kam mit großer Präzision zur Geltung. Der knapp 50-köpfige hochkompetente Chor hielt mit offensichtlicher Freude am Musizieren mit. Die starken, durchweg schnellen Chorfinale der drei Hauptteile des Oratoriums gehörten zum Besten an diesem Abend, da Dirigent Hengelbrock sie ganz vom Chor, von der fließenden Linie her dachte. Im gesamten dritten Teil, bei dem die Menschen in Gestalt von Adam (André Morsch) und Eva (Marie-Sophie Pollak) zu Wort kamen, stand die organische Gestaltung im Mittelpunkt. Und bei den zwei romantischen Zugaben wurde nichts mehr forciert, nichts mehr in seinem Fluss aufgehalten.

(RP)
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