Tonhalle Düsseldorf GMD-Kandidatenschau mit Mario Venzago

Düsseldorf · Der Dirigent wird als möglicher Nachfolger für Generalmusikdirektor Andrey Boreyko gehandelt. Nun trat er in der Tonhalle auf.

 Mario Venzago trat in der Tonhalle auf.

Mario Venzago trat in der Tonhalle auf.

Foto: RP, Werner Gabriel

Seit Februar ist bekannt, dass Andrey Boreyko seinen Vertrag als Generalmusikdirektor nicht verlängern wird. Der russische Dirigent ist in Düsseldorf nie ganz angekommen, und zudem ist es kein Geheimnis, dass das Verhältnis zwischen ihm und den Düsseldorfer Symphonikern angespannt ist. Nun braucht man also schon zum Sommer 2014 einen neuen GMD. Das ist eine Frist, die im internationalen Konzertbetrieb äußerst knapp ist, denn fähige Dirigenten sind in der Regel mindestens drei Jahre im Voraus verplant.

Natürlich gibt es aber längst eine — inoffizielle — Liste mit Wunschkandidaten. Ziemlich weit oben auf dieser Liste dürfte Mario Venzago stehen, der Boreyko schon in Bern abgelöst hat. Bei den Düsseldorfer Symphonikern hat er auffallend oft gastiert und kehrte nun mit Bruckners Neunter und Samuel Barbers Cellokonzert zurück.

Für den Spitzenplatz auf besagter Liste spricht, dass Intendant Michael Becker in seiner Anmoderation schon vorab die Künste des Maestros ausdrücklich anpries und einen "Bruckner aus dem Geiste Schuberts" versprach. Auch die demonstrativen Verbrüderungsgesten mit dem Orchester beim Schlussapplaus unterstrichen diesen Verdacht. Ob die Verpflichtung Venzagos als neuer GMD für das Düsseldorfer Musikleben tatsächlich ein nachhaltiger Gewinn wäre, sollte nach diesem Konzert aber vielleicht noch einmal gründlich überdacht werden.

Schon die Programmzusammenstellung war eigenartig, denn Barbers Cellokonzert passt zu Bruckners Neunter ungefähr so gut wie Marshmallows zu Biohonig. Venzago zeigte jedoch gerade bei Barber Stärken, die sich bei Bruckner zu einem Missverständnis auswuchsen. Der Schweizer ist stets im freundlichen Blickkontakt mit den Musikern und bewegt sich elastisch in einer leicht vorgebeugten Grundhaltung. Sein Schlag ist präzise, er pocht auf flüssige Tempi und Transparenz. Keine Frage, Venzago ist ein hervorragender Organisator, der ein disparates Stück wie Barbers Cellokonzert, das Christian Poltéra ohne eine einzige Kratzspur mit sähmig edlem Ton veredelte, klug zu bündeln weiß.

Ein Magier oder gar ein Visionär ist Venzago nicht. Und für Bruckners zyklopische Weltabschieds-Symphonie ist ein reines Entschlackungsprogramm das falsche Rezept. In knapp 52 Minuten absolvierte Venzago das Werk, für das Kollegen mindestens eine Stunde brauchen. Doch nicht umsonst stammt von dem großen Bruckner-Exegeten Sergiu Celibidache das Wort: "Bruckners Zeit ist das, was nach dem Ende kommt." Denn es geht um gefüllte Zeit, um Binnenspannung, die Bruckners gewaltige, himmelwärts aufragende und zugleich glühende Krater aufreißende Klang-Architektur überhaupt erst entstehen lässt. Venzagos schlankes Klangideal ist freilich grundsätzlich zu begrüßen, und einige endlich einmal vibratolos gespielte Liegeklänge ließen wirklich aufhorchen.

Doch insgesamt mangelte es seinem Bruckner-Parforceritt auffallend an Klangfantasie, an Kontrastwirkungen — ja, an Geheimnis. Und warum nur ließ Venzago im zweiten Satz die stampfenden Repetitionen des Grundtons abphrasieren, als sei's ein Wiener Klassiker? Es war eben nicht mehr Schuberts gemütliches Wien, in dem Bruckner lebte, sondern eine lärmende Gründerzeit-Metropole. Das ist keine Tanz-, sondern Maschinenmusik! Und auf der Himmelsleiter des letzten Satzes wartete man vergebens darauf, dass sich immer neue Türen mit immer erhabeneren Ausblicken auftaten. Stattdessen ging es zügig voran. Keine Zeit für Verzückungen.

Am Schluss gab es großen Applaus und beim Herausgehen den aufgeschnappten Satz einer Besucherin: "Das letzte Stück fand ich zu lang." Zeit ist eben sehr relativ.

(RP/jco)
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