Düsseldorf Geschichten aus dem Westerwald

Düsseldorf · Zum Ende der Literaturtage las Hanns-Josef Ortheil im Goethe-Museum. Dagmar Leupold war im Hofgarten zu Gast.

Bei der Lesung von Hanns-Josef Ortheil im Goethe-Museum dauert es keine Minute bis zum ersten Zwischenruf. "Er ist schon lange unser Wunschautor", sagt Museumsleiter Christoph Wingertszahn in seiner Begrüßung. "Unserer auch!" kommt es zurück. Der Autor lächelt und greift zu seinem neuen Werk "Was ich liebe und was nicht". Der Titel ist ein Zitat von Michel de Montaigne, der in Essays zu zentralen Fragen des Lebens Stellung bezog: Liebe, Glück, Alter, Tod. "Als Versuche, nachdenklich zu werden, philosophisch resümierend, nicht erzählend", merkt der Autor an. "Die Leser sollten ermuntert werden, es ihm gleichzutun. Dies ist auch meine Absicht. Ich halte viel von solchen Essenzen - um ausfindig zu machen, was einen bestimmt."

Ortheil beginnt dann seine Lesung mit einem Kapitel zum Wohnen. Genauer: dem Wohnen als Bleiben. Als er klein ist, pendeln seine Eltern alle paar Wochen zwischen Köln und dem Westerwald. Dem Kind fällt die Umgewöhnung jedes Mal schwer, was der Vater als "Gedöns" abtut. Er habe noch heute eine große Sehnsucht, sich dauerhaft an einem Ort einzunisten, bekennt er. Gelegentlich unterbricht Ortheil und schiebt Anekdoten ein: Der vertraute Westerwald blieb auch sein Rückzugsort, beim Spaziergang überkommt ihn immer eine "anomal starke Rührung" beim Blick ins Tal, auf den Hof der Großeltern: "Dort unten habe ich sprechen gelernt." Die Tragödie seiner Familie thematisierte Ortheil zuvor in anderen Büchern. Vier Söhne hatten seine Eltern verloren, als er 1951 geboren wurde. Seine Mutter verstummte mit der Zeit, und er mit ihr. Bis er sieben wurde, hat Hanns-Josef Ortheil kein Wort gesprochen.

Vergnüglich und treffsicher weiß er von seinen geliebten Zugfahrten zu berichten. Das Fliegen dagegen missfällt ihm, "bis auf das Emporheben wie eine schwebende Feder, der Abschied von der Erdenschwere". Wie man allerdings in dieser Höhe Tomatensaft trinken könne, begreift er nicht, zu der besonderen Atmosphäre passen für ihn nur Sekt und Champagner.

Amüsant geraten seine Schilderungen zum "Modernitätsdruck" in den 60er Jahren. Erst musste ein Mixer her, dann ein Auto. Da die Familie weiterhin Bus und Bahn fuhr, blieb der VW ungenutzt: "Er war kein Modell unseres Lebens und wurde schnell wieder verkauft." Ortheil, im Erstberuf Pianist, gibt auch Einblicke in sein Schriftstellerleben. Er erzählt vom ermüdenden Prozess des Schreibens, wenn der Faden über Jahre gehalten werden will. Von der anfänglichen Überzeugung, ein Meisterwerk zu schaffen, vom Stoff, der erkaltet, von der Resignation. Und er schließt mit einer Schilderung vom Schwimmen im Meer. So schön, so klar, so nachvollziehbar für jeden, der das Wasser liebt.

Ein paar hundert Meter weiter, im Hofgarten am Theatermuseum, scharten sich am sonnigen Nachmittag Literaturfreunde um die Schriftstellerin Dagmar Leupold. Unter freiem Himmel las sie aus ihrem Buch "Die Witwen" und nahm ihre Zuhörer mit auf eine Abenteuerreise ihrer vier seit der Schulzeit befreundeten Protagonistinnen. Mit einem Chauffeur brechen sie an der Mosel auf und wollen in die Vogesen. Wie es dann anders kommt, schildert Dagmar Leupold in einer lebensklug-charmanten Mischung aus Heiterkeit und Melancholie.

(RP)
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