Bernd Kortländer Für Heine war Paris die "Spitze der Welt"

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Literaturwissenschaftler ist den Spuren Heinrich Heines durch Paris gefolgt - und lädt mit seinem neuen Buch jetzt die Leser zu 14 spannenden Heine-Spaziergängen durch die französische Metropole ein.

Rund 800.000 Einwohner zählte Paris, als Heinrich Heine im Mai 1831 in die Hauptstadt Frankreichs reiste. Für den Düsseldorfer Dichter wurde die Stadt das "Foyer des europäischen Geistes", wie er schrieb, die "Spitze der Welt". Als der Dichter am 17. Februar 1856 in seiner Wohnung an der Avenue Matignon starb, hatte er fast ein Vierteljahrhundert in Paris verbracht. In 14 Touren ist der Heine-Forscher Bernd Kortländer, der bis 2012 stellvertretender Leiter im Düsseldorfer Heine-Institut war, dem Dichter in Paris gefolgt. Die Leser seines neuen Buches lädt er dazu ein, mit diesen Fährten Heine auf ungewöhnliche Weise zu erkunden. Eine "Blütenlese" von Heine-Texten über Paris und die Pariser Gesellschaft nennt Bernd Kortländer (68) seine neue Anthologie.

Wie oft sind Sie für die Recherchen zu Ihrem Buch nach Paris gereist?

Kortländer Eigentlich mache ich schon seit vielen Jahren mit Freunden Touren durch Paris, bei denen ich dann auch Texte von Heinrich Heine an den passenden Orten vorlese. Dann kam mir der Gedanke, dass man dies auch mal ordnen und aufschreiben könnte. Mit dem Buch der literarischen Spaziergänge kann man jetzt beides: sich mit den Texten von Heine durch Paris führen lassen oder mit dem Buch in der Hand einfach durch die Straßen der Stadt gehen.

Was hat Paris Heinrich Heine bedeutet? Es war doch weit mehr als ein Exil?

Kortländer Das auf jeden Fall: Heine war ein Paris-Verehrer. Und die Luft von Paris war für ihn ein Lebenselixier. In Paris sah er einen Ort der Intellektuellen, der Freiheit, der Revolution und der Liebe. In erster Linie aber war Paris für ihn eine Hauptstadt der Moderne. Und die beginnt 1793 auf dem Place de la Concorde mit der Hinrichtung von Ludwig XVI. - damit fängt die neue Zeit an, und darum beginnt auch mein Buch mit einem Heine-Text über diesen Platz. Der erste Spaziergang soll also durch die Hauptstadt der Revolution führen.

Wäre das Werk Heines ohne Paris ein anderes geworden?

Kortländer Diese Frage kann man bedenkenlos mit Ja beantworten. Er ist ja oft kritisiert worden, dass seine Liebesgedichte zu freizügig seien, zu unmoralisch und fürs deutsche Publikum im Grunde nicht akzeptabel; darauf hat er dann stets geantwortet: Das könne niemand verstehen, der nicht längere Zeit in dem Riesentollhaus Paris gelebt hat. Die Atmosphäre dieser großen Stadt, in der sich damals alles versammelt hat, was in der Kultur Rang und Namen hatte, prägte seine Sprache und seinen Stil immens. All das Kontrastreiche und Zugespitzte in seinem Werk dürfte kaum möglich geworden sein, wäre er in dem von ihm so rückständig empfundenen, schweren und bleiernen Deutschland geblieben.

Blieb seine Zuneigung zu Paris literarisch ohne Distanz?

Kortländer Das ist das Erstaunliche: Paris gehört neben Düsseldorf zu den Orten, die er nicht aus dieser ironischen Distanzhaltung beschrieben hat - im Gegensatz etwa zu Berlin, München oder London. Was natürlich richtig ist: Heine verklärt Paris nicht. Die Stadt ist für ihn als Ort der Moderne immer auch voller Schmutz und Lärm. Es ist ein Ort des Lebens, zu dem nicht nur schöne Seiten gehören.

Welchen Nutzen kann ein Heine-Leser haben, wenn ihm Paris als ein auratischer Ort des Dichters präsentiert wird?

Kortländer Ich glaube, dass man tatsächlich noch etwas von der Atmosphäre der Stadt zu Lebzeiten Heines spüren kann. Wenn man durchs neunte Arrondissement von Paris streift, in dem Heine hauptsächlich gelebt hat, kann man - trotz der gewaltigen Veränderungen in den vergangenen 200 Jahren - ein städtisches Leben erfahren, das Heine ungeheuer inspiriert hat. Dieses Leben ist immer noch da. Von dort aus ist auch nicht allzu weit entfernt vom Friedhof ...

... dem Friedhof von Montmartre, auf dem Heinrich Heine beerdigt wurde.

Kortländer Und damit muss mein Buch natürlich auch enden. Den Friedhof hat er sich als letzten Ort selbst ausgesucht und hat über ihn auch wunderschöne Texte geschrieben. Es lohnt sich immer, Heine in Paris auch dort zu besuchen.

(los)
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