Düsseldorf Fotografie - so jung, so radikal

Düsseldorf · Das NRW-Forum hat mehr als Böhmermann zu bieten. Nebenan glänzt der Fotografen-Nachwuchs mit der Schau "Gute Aussichten".

 "Eklig", sagen Männer, alltäglich finden es Frauen, die derartige Tätigkeiten in der Mehrzahl ausüben. Laura Giesdorf hat das Schminken seziert und hinterfragt in Hinblick auf die Konstruktion von Weiblichkeit.

"Eklig", sagen Männer, alltäglich finden es Frauen, die derartige Tätigkeiten in der Mehrzahl ausüben. Laura Giesdorf hat das Schminken seziert und hinterfragt in Hinblick auf die Konstruktion von Weiblichkeit.

Foto: NRW-Forum/Giesdorf

Eine ungeschminkte Frau schaut einer anderen ungerührt beim Morgenritual zu. Vielleicht ist es auch ein und dieselbe. Zwei Videoschirme sind im rechten Winkel zueinander positioniert, so dass sich auf dem anderen Schirm die Kunst der Make-Up-Malerei vollzieht. Die Lippen erhalten einen pinkfarbenen Auftrag. Ein ums andere Mal zeichnet der Applikator die Lippenform nach, unten, oben, mit der Obacht, die Zähne nicht mit anzumalen. Dann sind die Augen dran, der Kajalstift läuft brutal nah am Augenrand entlang. Eine Träne fließt, so grausam ist das. Weiter geht's.

"Eklig" finden die meisten Männer die Bilder, auch Frauen zucken bei den Nah-Ansichten, die Laura Giesdorf zu einem Video verwoben hat. Es soll auch nicht schön sein. Vielmehr will die Detmolderin mit den monotonen, bis an die Grenze des Obszönen anmutenden Einstellungen Weiblichkeit hinterfragen. Sind Make-up, Mascara und Lipgloss nicht der überbewertete Teil der Konstruktion von gesellschaftlich akzeptierter Weiblichkeit?

Giesdorf (Jahrgang 1994) gehört mit ihrer in den Bann ziehenden skulpturalen Arbeit zu acht Nachwuchskünstlern, die eine Bestenauswahl junger deutscher Fotografie darstellen, kuratiert aus 94 Bewerbungen von 35 Hochschulen, an denen Medienkunst gelehrt wird. Die meisten haben ihr Studium beendet und sind nun Künstler. Oft vergisst man neben den Shootingstars der Fotografie die Protagonisten aus der zweiten Reihe, oder auch den Nachwuchs, der im NRW-Forum ausdrucksstark dokumentiert, wie sehr große Lebensfragen in fotografische künstlerische Prozesse einfließen.

Fotografie ist im Fluss, seit es sie gibt. Die acht Beiträge zeigen ein Spektrum dessen, was gerade los ist. Und sie zeigen Qualität. Was bei den beiden Videos selbstverständlich ist, betreiben auch die Fotografen: Mit verschiedenen Techniken inszenieren sie Bilder und Fotoarbeiten, in Vitrinen oder von der Decke herabhängend, einfach an die Wand gepinnt, in einem Kunststoffbehälter oder durch den ratternden Diaprojektor. Am traditionellsten fast arbeitet Ricardo Nunes mit seinen "Places of Disquiet" - er könnte bei einem Becher-Schüler studiert haben, seine trostlosen Stadtlandschaften erinnern an die frühen Straßenbilder von Thomas Struth. Doch Nunes setzt den Fotos einen melancholischen Akzent hinzu. Ein wie von einer höheren Macht geleiteter Lichtglanz, der wie ein Hoffnungsstrahl das Verlorensein der winzigen Person aufheben könnte.

Ein schlimmes Ereignis, ein Gefühl, das Schweigen. Aus diesem Dreiklang rekonstruiert Stephan Bögel in einer Bildergeschichte einen Suizid - Worte aus dem Polizeibericht setzt er sauber unter die akkurat gerahmten Fotografien, Alltagsaufnahmen sind es mehrheitlich, auch eine kleine verwischte Komposition - vielleicht ein Richter-Zitat? Hier gilt wie überall: Man kann einfach nur die Fotos ansehen. Und dann, wenn man will, nachdenken, versuchen, einzudringen in die gedanklichen Räume, die das Werk aufschließt.

Mit Janosch Boerckel beamen wir uns in die Zukunft, wandeln zwischen Forschungsdokumenten und Science-Fiction-Szenarien übers Fotopapier. Dazu rattert der Projektor. Die neuzeitlichen, wie Fetzen an der Wand hängenden Fotogramme von Alba Frenzel führen uns über Umwege in eine molekular anmutende Eierküche. Alexandra Polina inszeniert fremdländisch aussehende Menschen zu einem Puzzle und setzt sie auf prächtige Ornamente. Ein Puzzle aus Erinnerung setzt Julian Slagman zusammen, die Deutsch-Japanerin Rie Yamada konstruiert Familiengeschichten und Lebensläufe in detailverliebten Installationen. Beethovens Mondscheinsonate lockt akustisch zur Preisträgerin 2014/15, Stefanie Schroeder, und ihrem Versuch der Selbstoptimierung. Mit ihrer 2-Kanal-Videoprojektion führt sie das Elend unserer ratlosen, beraterhörigen Gesellschaft vor. Leben eben - wie alle anderen auch. Sehenswert.

(RP)
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