Düsseldorf Festival mit viel Gefühl

Düsseldorf · Das siebte New-Fall-Festival ging in den Konzertsälen der Stadt über die Bühnen. Wir haben die Höhepunkte zusammengefasst.

 Sänger Glen Hansard hatte sich auf der Bühne der Tonhalle wohnlich eingerichtet.

Sänger Glen Hansard hatte sich auf der Bühne der Tonhalle wohnlich eingerichtet.

Foto: Susanne DiesNer

Der Sänger Glen Hansard kam als Seelenretter zum Konzert in die Tonhalle, und die 22-jährige Julien Baker vertonte im Bachsaal innere Zerrissenheit. Tom Odell genoss den großen Auftritt.

Julien Baker rührt ein Schmerzmittel an

Hinterher meinten die Spötter, Julien Baker habe mit ihren Schmerzenssongs etwas zu dick aufgetragen. Aber wie soll man sich 22-jährig schon fühlen, wenn nicht mittelmäßig? Julien Baker jedenfalls, die junge Songwriterin und Gitarristin aus Memphis, trat im Bachsaal der Johanneskirche auf, und sie hielt dort eine Andacht ab. Manche im Publikum hielten tatsächlich die Hände gefaltet. Bakers Songs handeln von Dämonen und Verflossenen. Mit irrer Stimme sang sie: "Tell me you loved me". Liebe gibt es bei ihr zumeist nur im Präteritum. Ganz ohne Begleitband trat die Musikerin auf, die ihre Gitarrenspuren mit Loop-Geräten übereinanderschichtete, bis sich ein süßer Brei ergab, ein Schmerzmittel. Nach 50 Minuten ging sie ab. Keine Zugabe. Es war ja alles gesagt. Klas Libuda

Tom Odell tigert durch die Tonhalle

Tom Odell beginnt sein Konzert in der Tonhalle mit einer klassischen Ballade am Klavier: "Heal" von seinem ersten, vor vier Jahren erschienenen Album "Long Way Down". Während des Songs, der mit nur vorsichtiger Bandbegleitung auskommt, sind sein Drang nach vorn, die große Energie, die in ihm schlummert, und der Wille zum Ausbruch schon deutlich spürbar. Genauso beim Publikum, das bis in die Haarspitzen gespannt ist: Als sein Idol einmal den Takt mit der schwarzen Stiefelette auf den Holzboden stampft, klatscht es sofort mit, ein paar entzückte Kreischer gellen durch den Raum. Mit "I Know" und "Can't Pretend" legen der 26-jährige Brite und seine dreiköpfige Begleitband Hits nach, die zwar massentauglicher Pop, aber trotzdem von der rohen Energie des frühen Rock'n'Roll inspiriert sind. Im Gegensatz zu seinem etwas selbstverliebt auftretenden Support Nathan Ball wirkt Tom Odell dabei authentischer, als würde er seine Musik wirklich leben und fühlen. Manchmal springt er unvermittelt auf und haut im Stehen auf die Tasten wie Jerry Lee Lewis auf dem Höhepunkt von "Great Balls Of Fire". Oder er tigert einem inneren Impuls folgend an die Bühnenränder, animiert seine Fans zum Mitklatschen und -singen und steigt dazu selbst ins Falsett, wie das sonst nur Chris Martin von Coldplay kann. Eine Kulisse wie die ehrwürdige Hochkultur-Halle und die 1200 Menschen darin scheinen dem jungen Musiker die natürlichste Umgebung der Welt zu sein. Tatsächlich hat er mit "Another Love" einen Welthit vorgelegt, der hier auch gebührend gefeiert wird, und damit sein Können bewiesen. Dass er darüber hinaus großes Potenzial hat, beweist er in den restlichen anderthalb Stunden. Man darf gespannt sein, wie lang er sich im Haifischbecken des Singer/Songwriter-Pop oben halten kann. Max Florian Kühlem

Glen Hansard erinnert an Malcolm Young

Der Mann ist ein Geschichtenerzähler alter Schule. Seitdem er 13 ist, macht sich Glen Hansard einen Reim aufs Leben. Erste Erfahrungen sammelte er auf den Straßen Dublins. In den irischen Pubs spülte er das Elend mit dem ein oder anderen Pint zu viel herunter. Heute klingt er wie ein Bluessänger, gefangen im Körper eines Singer-Songwriters. Hemdsärmelig, mit einer Kladde unterm Arm, betrat er die gut gefüllte Tonhalle und machte es sich alleine auf einem Hocker gemütlich. Ab und zu setzte er sich ans Klavier und plauderte. Der 47-Jährige befindet sich auf "Save a Soul"-Mission. Es gilt, mit der Musik eine Seele zu retten, es darf auch die eigene sein. Hansard sang seine Songs nicht einfach herunter, er fühlte sie, mit vollem Körpereinsatz. "Bird Of Sorrow", sagte er, sei ein Song über die Komplexität weiblicher Emotionen. Er widmete das Lied seiner Mutter. "Little Ruin" sang er für sich selbst: "Es ist schon eine merkwürdige Zeit für ein Konzert", erklärte er. Sein Körper sage ihm: "What? Wieso jetzt?" Hansard spielte schon um 17 Uhr.

Seine Gitarre verwendete er wie ein Arbeitsgerät, mit dem er nicht immer zimperlich umging. Bei "When Your Minds Made Up" schlug er die Saiten so schnell an, dass man Sorge haben musste, dass Instrument könnte Feuer fangen. Zurück blieb eine tiefe Kerbe. Zum Tod von AC/DC-Gründer Malcom Young stimmte er noch spontan "Gimme A Bullet" an. Young sei für ihn ein Gott gewesen, erzählte er. Man glaubte ihm. Man glaubte ihm jedes Wort. Dirk Weber

Michael Kiwanuka und ein kleiner Makel

Als der 30-jährige Brite Michael Kiwanuka 2012 sein erstes Album veröffentlichte, da konnte man seine Musik als lupenreinen Retro-Soul bezeichnen. Stimmlich eiferte er Vorbildern wie Bill Withers oder Otis Redding nach, und auch mit der Aufnahme der Instrumente hatte man eine Hommage an den organischen Sound der 1960er Jahre geschaffen. Mit dem aktuellen Album "Love & Hate" ist Kiwanuka allerdings andere Wege gegangen, hat mit dem berühmten Produzenten Danger Mouse Soul-Pop mit Psychedelic Rock gekreuzt - und hier liegt der Grund für einen kleinen Makel seines überwiegend großartigen Auftritts beim New-Fall-Festival: Der Teil des Publikums nämlich, der den Sound des sehr erfolgreichen aktuellen Albums im Kopf hatte, musste nicht selten Abstriche machen.

Der Titelsong "Love & Hate" zum Beispiel, den Kiwanuka ganz am Ende des knapp zweistündigen Konzerts spielte, erhält seine Dringlichkeit auf der Aufnahme von einem durchgängigen Background-Chor, der die Hauptstimme fortwährend stützt oder ihr auch mal entgegenläuft. Da in Kiwanukas Band jedoch offenbar niemand wirklich gut singen kann, fielen die Chöre einfach weg. Schade. Auch musikalisch scheint das neue Material herausfordernd zu sein: Die beiden Teile des epischen Titels "Cold Little Heart" flossen bei der Live-Performance jedenfalls nicht ineinander, sondern standen lose und unverbunden nebeneinander. Dafür gab es andere Höhepunkte: Das Doppel aus "Tell Me A Tale" mit einem ausgiebigen, Funken sprühenden Instrumentalpart am Ende und "Black Man In A White World", mit dem Kiwanuka sich in die schwarze Bürgerrechtsbewegung einreiht, begeisterten so sehr, dass einige Konzertbesucher von ihren Stühlen aufsprangen, zur Musik tanzten und sich am Mitklatschen der komplizierten Off-Beats versuchten. Max Florian Kühlem

(RP)
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