Düsseldorf Er erforscht die Kunst zu leben

Düsseldorf · Der Schauspieler Robert Stadlober liest heute im Forum Freies Theater aus Peter Weiss' "Die Ästhetik des Widerstands". Die Lesung ist der Auftakt zu einer Veranstaltungswoche an vielen Orten der Stadt.

Düsseldorf: Er erforscht die Kunst zu leben
Foto: dpa / AAPimages / Lueders

Schauspieler, Musiker, Synchronsprecher und Sänger: All das ist Robert Stadlober. Vor allem aber fällt der Österreicher durch seine politische Haltung auf. "Es gibt Leute, die sich sträuben, klare Linie zu bekennen, weil sie befürchten, anzuecken und ihre Karriere zu gefährden", sagt er. "Ein viel größerer Teil der Menschen hat aber einfach den Überblick verloren. Früher konnte man im Fernsehen seine Meinung sagen, heute wird man sofort in irgendeine seltsame linke Ecke gestellt. Ich würde den Leuten gerne Mut machen und sagen: 'Man darf und man kann'. Demokratischer Diskurs entsteht eben auch dadurch, dass man mal etwas Falsches sagt."

Vor fast zehn Jahren kam Robert Stadlober das erste Mal in Kontakt mit Peter Weiss, einem der vielseitigsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Acht Jahre lang arbeitete dieser an seinem dreibändigen Werk "Die Ästhetik des Widerstands", das die Geschichte des Widestands gegen den Faschismus aus der Perspektive eines jungen kommunistischen Arbeiters erzählt.

Stadlober war 2007 an einer Hörspielfassung des Romans beteiligt; als Anfang 20-Jähriger habe er sich damals mit "manchen Teilen sprachlich schwergetan", erzählt er. 2013 las er Weiss' "Abschied von den Eltern" ein. "Das fiel mir leichter, ich habe einen Rhythmus erkannt - Weiss' Sprache hat eine Musikalität", sagt er. Doch erst durch eine Lesung im Berliner "Hebbel am Ufer", einer Spielstätte für freie Produktionen, habe er "die vielen Dimensionen" begriffen. "Das Werk ist ein literarischer Hochgenuss", sagt der Schauspieler.

Robert Stadlober war in der Wahl seiner Projekte und Rollen schon immer ein Grenzgänger - mit Erfolg. Er spielte 1999 in der DDR-Komödie "Sonnenallee" mit; seinen Durchbruch feierte er 2000 mit dem Film "Crazy", in dem er einen halbseitig gelähmten Schüler spielt. Für die Rolle wurde er mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet, viele weitere Preise folgten. Düsseldorf ist für Stadlober, der in Kärnten, Hamburg und Berlin lebte, übrigens kein Neuland: Schon 2014 las er im Zakk gemeinsam mit "Ja, Panik"-Sänger Andreas Spechtl. Damals aus "Der eindimensionale Mensch" von Herbert Marcuse.

Die Beschäftigung mit Peter Weiss' Literatur verdeutlicht Stadlobers Vielseitigkeit. "Ich glaube, Peter Weiss ist in der deutschen Literatur jemand, der den Abschluss einer Epoche markiert", sagt der 34-Jährige. "Diese Form des intellektuellen, politischen Aktivismus jenseits persönlicher Kalkülgedanken oder Trends ist unvergleichlich." Peter Weiss hinterfragte sein gesamtes Leben lang Herrschaftsverhältnisse und soziale Strukturen. "Es gibt Kräfte, die nicht wollen, dass man sich daran erinnert, dass der Faschismus nicht von einer Bande Irrer kam, die wie eine Heuschreckenplage über Deutschland hergefallen sind und uns in zehn Jahre Dunkelheit gestürzt haben", meint Stadlober.

Auch heute noch treffen Weiss' Texte den Kern der modernen Gesellschaft sowie deren Konflikte. In der heutigen Zeit könne man genauso vor lauter schlechten Nachrichten die Hoffnung verlieren, sagt Robert Stadlober.

Um den Sinn von Weiss' Hauptwerk "Die Ästhetik des Widerstands" zu erschließen, wurden in den 80er Jahren sogar Lesekreise gegründet. "Man muss die drei Bände nicht durchlesen wie einen Groschenroman, das ist vollkommener Blödsinn", meint Robert Stadlober. "Man kann das Werk auf jeder beliebigen Seite aufschlagen, und sich an 30, zehn oder sogar einer Seite festbeißen. Unabhängig davon, an welcher Stelle man ein- oder aussteigt, gibt es immer einen Erkenntnisgewinn."

Das Forum Freies Theater (FFT) widmet Peter Weiss anlässlich seines 100. Geburtstag vom 4. bis 9. November eine besondere Veranstaltungsreihe. Unter anderem in der Filmwerkstatt, der Kunstakademie, der Mahn- und Gedenkstätte und den Kammerspielen des FFT finden Lesungen, Künstlergespräche und Filmvorführungen statt. Bei neun von elf Veranstaltungen ist der Eintritt kostenlos. Neben Robert Stadlober nehmen unter anderem auch Harun Farocki, Gabriella Crispino und Otto Kukla an der Reihe teil. Auch für Politikuninteressierte hält das Werk von Peter Weiss übrigens etwas bereit. "Es geht um Politik, aber vor allem um die Kunst zu leben", sagt Robert Stadlober.

(mba)
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