Martin Baltscheit Eine Geschichte von Tod und Hoffnung

Düsseldorf · Kinderbuchautor Martin Baltscheit erzählt in "Nur ein Tag" vom Sterben, will aber vor allem Lust aufs Leben machen.

Hier entstehen nicht nur Kinderbücher, hier sind auch Kinder zuhause: An der Tür zu Martin Baltscheits Wohnung in Unterbilk wartet seine jüngste Tochter - sie will sehen, wer den Autor, Sprecher und Filmemacher besucht. Dann aber soll sie schlafen. Baltscheit lauscht noch mit halbem Ohr, ob alles in Ordnung ist, als er ins Wohnzimmer geht - einen Raum mit vielen Büchern, Spielsachen und einem Flügel. Wir wollen über sein Theaterstück "Nur ein Tag" sprechen, dessen Geschichte jetzt als Buch erscheint.

Nach welchen Kriterien suchen Sie Geschichten für Ihre Kinder aus?

Baltscheit Sie müssen spannend erzählt sein, mit einem Problem, das es zu lösen gilt, mit Figuren, die Vorleser und Zuhörer berühren. Und es muss Hoffnung geben. Ich hatte neulich ein Kinderbuch in der Hand, das ich schrecklich fand. Es erzählte von einem Jungen und seiner Familie: Der Vater trank, die Mutter kümmerte sich nur um sich, die Geschwister waren gemein. Das mag realistisch sein, ist aber unglaublich deprimierend.

Ist das Thema das Problem?

Baltscheit Nein, gerade die großen, schweren Themen haben erzählerisches Potential. Aber es kommt darauf an, wie man sich mit ihnen befasst.

"Nur ein Tag" ist für Kinder ab sechs und erzählt vom Sterben. Was ist hier anders?

Baltscheit Es ist vor allem eine Geschichte über das Leben. Es geht darum, dass die Eintagsfliege nur einen Tag zu leben hat. Sie weiß das aber nicht. Fuchs und Wildschwein trauen sich nicht, ihr das zu sagen, erzählen ihr stattdessen, dass es der Fuchs ist, der heute sterben muss - und sie schmeißt die Kreationsmaschine an: Sie denkt sich ganz viel aus, was er an diesem Tag alles noch erleben soll, sprudelt geradezu über vor Ideen. Es ging mir darum, humorvoll zu erzählen, mit Figuren, die man ins Herz schließen muss, und ich habe eine Botschaft - ich verstehe mich als Geschichtenlehrer und möchte etwas Wichtiges vermitteln: Wir sollten möglichst viel aus unserem Leben machen.

Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?

Baltscheit Die Idee stammt von einem Kind, von Anna Gabbert. Sie hat sie sich ausgedacht, als sie elf war. Ich kannte Anna nicht, aber ihre Mutter hat mir von ihr erzählt. Die Handlung mit Fuchs, Wildschwein und Eintagsfliege stand schon, ich fand sie wunderschön und habe gefragt, ob Anna sie mir schenkt. Die Geschichte hat auch sofort in meinem Kopf Gestalt angenommen: Ich sah Fuchs und Wildschwein, hörte sie reden, wusste, was passiert. Sie hat sich von allein erzählt, ich musste sie nur aufschreiben.

Sie beschäftigen sich seit zehn Jahren immer wieder intensiv mit "Nur ein Tag". Sie haben erst ein Theaterstück geschrieben, dann Regie für das Hörspiel geführt und den Fuchs gesprochen. Jetzt haben Sie den Text für das Buch bearbeitet und einen Film gedreht. Was fesselt Sie an dieser Geschichte

Baltscheit Für mich spielt das Thema eine große Rolle. Wir wissen, dass wir sterben müssen, versuchen den Tod aber zu verdrängen. Gleichzeitig ist das Fundament aller kreativen Arbeit die Angst vor dem Tod, oder genauer: der Wunsch, etwas zu schaffen, das länger bleibt als ich. "Nur ein Tag" ist beides: Der zeitweilige Ausstieg aus dem Verdrängen, und es ist, wie jedes Schreiben, der Versuch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, indem ich etwas schaffe, das mich überdauert. Es ist aber eben auch eine Geschichte, die ich sehr mag. Sie macht Hoffnung, deshalb befasse ich mich sehr gern mit ihr.

Ist es immer derselbe Text?

Baltscheit Im Prinzip ja, aber mit Anpassungen an das jeweilige Medium. Für das Buch konnte ich Innenperspektiven einfügen, man erfährt so etwas mehr von dem, was die Protagonisten denken. Der Film arbeitet dichter am Bild, sozusagen tiefer in den bewegten Gesichtern der Helden.

Was ist das für ein Film?

Baltscheit Es ist kein Trickfilm, wie man vielleicht erwarten würde. Ich habe mit echten Schauspielern in einem wunderschönen Wald gedreht.

Sie schreiben und filmen nicht nur, Sie zeichnen auch. Warum haben Sie "Nur ein Tag" nicht selbst illustriert?

Baltscheit Meine Art zu zeichnen wäre vermutlich zu düster geworden. Wiebke Rauers Bilder sind leichter und sehr humorvoll, genau richtig für ein Kinderbuch.

DIE FRAGEN STELLTE SABINE SCHMIDT

(RP)
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