Düsseldorf Ein Senkrechtstarter erobert die Romantik

Düsseldorf · Der englische Dirigent Robin Ticciati macht weltweit Furore. Nun kommt er nach Düsseldorf. Er dirigiert Mendelssohn und Bruckner.

 Der 1983 in London geborene Dirigent Robin Ticciati wird im kommenden Jahr Chefdirigent in Berlin.

Der 1983 in London geborene Dirigent Robin Ticciati wird im kommenden Jahr Chefdirigent in Berlin.

Foto: Marco Borggreve

Vor fünf Jahren fand bei den Salzburger Festspielen eine Revolution statt, und einer der Rädelsführer wird am kommenden Samstag in der Tonhalle zu bestaunen sein. Zu einer verspäteten Festnahme wird es allerdings nicht kommen, eher zu offenen Beifallskundgebungen des Publikums.

Was war damals in Salzburg passiert? Dort gab es das jüngste "Figaro"-Ensemble aller Zeiten, doch das vorderhand Erschütternde fand im Orchester statt. Zum ersten Mal seit 1922 wurde das Werk bei den Salzburger Festspielen nicht von den Wiener Philharmonikern gespielt. Im Graben saß vielmehr das Londoner Orchestra of the Age of Enlightenment und gewährte uns einen erleuchteten, aufgeklärten Mozart. Für Österreich war das so, als würden in der Außenstelle Salzburg die habsburgischen Kronjuwelen verhökert.

Am Pult des Originalklang-Ensembles stand der damals fast unbekannte englische Dirigent Robin Ticciati, der mit seinem Lockenkopf aussah wie eine Mischung aus Simon Rattle und Gustavo Dudamel, ein drahtiges, gleichwohl souveränes Kerlchen, das in Salzburg zeigte, dass britischer Scharfsinn und mozartische Wärme nicht unvereinbar sind. Er fand umstands- und ansatzlos die richtigen Tempi, begleitete die Sänger wie ein bangender Souffleur und arbeitete unentwegt an der Dynamik. Die Mozart-Welt war entzückt und beschloss, sich den Namen Ticciati zu merken.

Jetzt kommt es in der Tonhalle zu einer neuerlichen Begegnung mit dem 1983 geborenen Feuerkopf. Wie es in Salzburg zu erwarten war, legte Ticciati eine wahnwitzige Karriere hin. An großen europäischen Opernhäusern wie Covent Garden in London oder dem Opernhaus Zürich hat er längst dirigiert. Das Glyndebourne Festival hat ihn zu seinem Chef gemacht, ebenso das Scottish Chamber Orchestra.

Die großen Symphonieorchester der Welt haben auch alle bereits bei Ticciati angeklopft. Kein Wunder, der Mann spricht ihre Sprache: Er ist ausgebildeter Geiger und kann mit den Streichern auf Augenhöhe argumentieren. Gute Orchester mögen das. Im kommenden Jahr übernimmt er als Chef das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.

Als Interpret ist Ticciati ein genialischer Zündler, der es auf traditionelle Hörgewohnheiten abgesehen hat. Seine Einspielung von Dvořáks Symphonie "Aus der Neuen Welt" mit den Bamberger Symphonikern ist exorbitant, furios, beglückend. Beim Hören wussten wir wieder, wieso er zwei begehrte Preise für Musiker seiner Altersgruppe bekommen hat: den "Award for Exceptional Young Talent" der britischen Kritikervereinigung "Critic's Circle" und den Echo Klassik als Nachwuchs-Dirigent.

Für die Karriere fast noch wichtiger ist die Frage, welches Top-Orchester mit ihm auf Tournee gehen möchte. Nun, im Heinersdorff-Konzert in der Tonhalle, wird man Ticciati gemeinsam mit dem großartigen London Philharmonic Orchestra erleben können, wenn sie die Welt der Romantik erkunden. Mit dem Geiger Christian Tetzlaff wird Ticciati Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-Moll aufführen; nach der Pause gibt es die Symphonie Nr. 4 Es-Dur, die "Romantische", von Anton Bruckner. Da könnte es sein, dass ein Meisterwerk von einiger Patina befreit wird.

In Tetzlaff stellt sich dem Düsseldorfer Publikum ein Geiger vor, der ähnlich großartig und ähnlich bescheiden ist wie sein Kollege Frank Peter Zimmermann. Tetzlaff gilt als intellektuell, als Denkerkopf, was freilich nur begrenzt auf ihn zutrifft. In Wirklichkeit kann Tetzlaff im Konzert alle Korsette öffnen und eine Spielfreude entwickeln, über die man bei ihm, dem waschechten Hamburger, nur staunt.

Auf die britisch-hanseatische Ko-Produktion darf man gespannt sein.

(w.g.)
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