Düsseldorf Ein Romanheld am Ende

Düsseldorf · Martin Walser las im Central aus seinem neuen Werk "Ein sterbender Mann", in dem der 89-Jährige viele Rätsel aufgibt.

 Ein bisschen Unterstützung hatte Martin Walser (M.) nicht nur bei der Lesung von "Ein sterbender Mann": Thekla Chabbi ist seine Co-Autorin, auch wenn sie nicht als solche aufgeführt wird. David Eisermann vom WDR befragte die Autoren zum Buch.

Ein bisschen Unterstützung hatte Martin Walser (M.) nicht nur bei der Lesung von "Ein sterbender Mann": Thekla Chabbi ist seine Co-Autorin, auch wenn sie nicht als solche aufgeführt wird. David Eisermann vom WDR befragte die Autoren zum Buch.

Foto: david young

Martin Walser tritt an diesem Abend auf Einladung und zum zehnjährigen Bestehen der Literaturhandlung Müller & Böhm im Heine-Haus ans Lesepult des Central. 300 Gäste hängen an seinen Lippen. Sie sehen einen rüstigen Mann, was nicht der Erwähnung wert wäre, wüsste man nicht, dass der Schriftsteller bereits 89 Jahre alt ist. Er liest aus seinem neuen Roman "Ein sterbender Mann", mit sonorer fester Stimme, der auch parodistische Untertöne nicht fremd sind. Walser liest den ersten, ominösen Satz des Buches: "Mehr als schön ist nichts."

Das ist ein Rätsel, wie so vieles an diesem Abend. Denn die schreibende Figur, in diesem Fall ein Leserbriefschreiber, ist ein spät Gescheiterter, vom besten Freund verraten und im wahren Sinne verkauft, und er will sich töten. Über ihn heißt es: "Ich bin 72. Und am Ende. Aber nicht weil ich 72, sondern am Ende bin." Doch die Liebe zu einer Frau, einer Tangotänzerin, lässt ihn innehalten.

An dieser Stelle wird es spätestens interessant, denn die zweite Hälfte der Lesung bestreitet Thekla Chabbi, eine Sinologin und Übersetzerin, die vor Jahren mit dem Sänger Guildo Horn verheiratet war. Aber nicht deswegen hat Walser ihre Hilfe gesucht. Sie hat ihn auf einem Kongress getroffen, ihm bei der Tango-Recherche geholfen und über eine Algerien-Reise geschrieben, eine Reise in ihre Heimat, und so kann Walser sie als Co-Autorin bezeichnen, auch wenn sie nur in einer Danksagung auftaucht. "Was meinst du, wie viel hast du geschrieben?", fragt Walser sie beim anschließenden Gespräch mit David Eisermann vom WDR. Man einigt sich bei 25 bis 30 Prozent, aber Walser stellt klar: "Ein sterbender Mann" sei sein Buch.

In diesem Zusammenhang erwähnt er Goethe und seine umfangreiche Gedichtsammlung "West-östlicher Divan", in die der Dichter einige Gedichte von Marianne von Willemer aufnahm, ohne die Verfasserin zu nennen. Diese Gespräche sind es, warum so viele Gäste kommen: Sie wollen mehr oder anderes über den Autor zu erfahren, und es zeigt sich vieles von der Lebenserfahrung und der damit verbundenen Exzentrik des alten Mannes.

Walser jedenfalls ist ganz deutlich anzusehen, wenn ihm eine Frage nicht gefällt; als Eisermann etwa Walsers politisches Leben zwischen Kommunismus und Rechts einordnet, senkt der 89-Jährige die weißen buschigen Augenbrauen, murmelt etwas von Persiflage und geht nicht weiter darauf ein. Dann aber streicht er dem Moderator fast liebevoll über den Kopf, als der gesteht, dass er bei der Lektüre Walsers viel an Erfahrung gewonnen habe. "Ich hoffe, nicht nur daraus", zwinkert der viel ältere Mann. Der hat fürs Buch nicht nur über den Tango recherchiert, sondern auch in den Foren der "Suizidalen", wie sie Walser nennt - das Wort "Selbstmörder" lehnt er ab, da gehe es um genaue Begrifflichkeit. Erstaunlich sei es gewesen, wie genau und bildreich die Suizidalen ihre Lage beschrieben hätten. Sich eingeschaltet habe er jedoch nicht. Auch auf diese Foren hat ihn Chabbi gebracht. "Sie hat mir den Link genannt, und ich habe mich eingeloggt. Das schreibt man übrigens nicht mit ,k'", witzelt er.

Überhaupt ist das Bonmot ihm nicht fremd. So macht er den Helden seines Buches Josef Schadt zum "Gelegenheitsschreiber", dessen Bücher wie "Rumpelstilzchen. Anleitung zur Selbstfindung" sich aber Hunderttausende Mal verkaufen. Über die Literatur weiß Walser selbst nach vielen Jahren eines: "Sie erklärt nicht, sie verklärt." Trotzdem kann er vom Schreiben nicht lassen, es ist gleichsam ein Zwang. Nach einem neuen Projekt gefragt, erklärt er wenig überraschend: "Das würde den Rahmen sprengen."

(RP)
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