Konzert in der Esprit-Arena Ein historischer Abend: Die Rolling Stones in Düsseldorf

Düsseldorf · Es war vielleicht das letzte Konzert der Stones auf deutschem Boden: 45.000 Fans erlebten den Auftritt von Mick Jagger und Co. in der Esprit Arena. Es wurde ein phänomenaler Abend.

So lief das Konzert der Rolling Stones 2014 in Düsseldorf
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Düsseldorf: So lief das Konzert der Rolling Stones 2014

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Foto: Endermann, Andreas

Gegen Ende dieses phänomenalen Abends geht das Licht auf der Bühne aus. Ein paar Sekunden lang passiert gar nichts, es ist still, dann zucken Flammen über die gewaltigen Leinwände, rotes und orangefarbenes Licht ergießt sich in die Halle. 45.000 Menschen ahnen, was nun kommt, sie jubeln. Man hört das markante Trommel-Intro, dann sieht man Mick Jagger auf der Bühne, er steht einfach da, man weiß nicht, von wo er gekommen ist. Er trägt einen pechschwarzen Feder-Umhang, der bis zum Boden reicht. Die Schultern leuchten blutrot, und als ein Lichtspot auf Jaggers Gesicht gerichtet wird, schaut er, wie man schaut, wenn man sich darauf freut, etwas Verbotenes zu tun. Er beginnt er das Lied, "Please allow me to introduce myself / I'm a man of wealth and taste", und die nächsten Verse kann man im Geschrei kaum verstehen. Das ist "Sympathy For The Devil", und gleich ruft jeder in der Halle die ewig junge Begrüßungsformel der Widerständigkeit, das globale Erkennungszeichen jugendlicher Verneinung: "U-uh!"

Die Rolling Stones treten in der Esprit-Arena auf, und wer da ist, wohnt einem historischen Ereignis bei, denn möglicherweise ist dies der letzte Auftritt der Stones auf deutschem Boden. Die Musiker sind nun in ihren 70ern, und obwohl man das schon tausend Mal gedacht und gesagt hat, muss man nun tatsächlich damit rechnen, dass sie nicht noch einmal auf Welttournee gehen. Sie spielen "Tumbling Dice", Jagger steckt sich das Mikrofon vorne in die Hose und lässt die Hüften kreisen, diese mephistophelischen Hüften, die locken sollen und provozieren, und man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie das irgendwann nicht mehr tun.

Alle wollen die Rolling Stones sehen
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Es gibt in dieser Show Momente, da beginnt man zu begreifen, worum es bei den Stones geht, worum es im Rock geht, und wieso man sein Herz an so etwas Dummes wie Popsongs hängen kann, wieso man ein Leben lang nicht los kommt von dem, was man einst im Radio hörte. "Midnight Rambler" zum Beispiel. Sie holen Mick Taylor auf die Bühne, den alten Fahrensmann, der bei den größten Stones-Alben in den frühen 70ern Gitarre spielte. Am meisten scheint sich Keith Richards über ihn zu freuen, er lacht, schüttelt den Kopf, schwenkt die Gitarre im Gleichklang mit dem Kumpel. Sie dehnen den Song über fast zehn Minuten, sie stehen da und schauen dem Irrwisch da vorne zu, der sich mit geschlossenen Augen um die eigene Achse dreht, von links nach rechts läuft, nicht mehr zu wissen scheint, wo er sich befindet. Jagger legt die Ellenbogen an die Seiten seines Körpers, er zuckt vor, schüttelt den Kopf mit dem halblangen Haar. Er hat sich in das Lied versenkt, in die Zeit, es ist 1969 bei ihm oder 1979, man weiß es nicht so genau. Er taucht ab, und er nimmt alle mit. Das ist vielleicht, was man als Magie bezeichnen kann: dass es sich anfühlt, als sei man unter Wasser, aber man hat trotzdem Luft zum Atmen und findet es ziemlich schön da unten. Das Lied ist eigentlich schon zu Ende, da beginnt Jagger einzelne Wörter zu schreien. Mick Taylor zieht sie wie Perlen auf seine Gitarrensaiten, und schließlich führen sie das Lied zurück zum Ausgangspunkt und beginnen es mit erhöhter Geschwindigkeit von Neuem - es ist unfassbar.

Ein anderer Höhepunkt ist "Gimme Shelter", der großartigste Song, den diese Band je geschrieben hat. Man muss die Energie in der Halle spüren, um zu begreifen, was diese vier Minuten mit einem Menschen machen können. Es gibt keinen Refrain zum Mitsingen in diesem Lied, es brodelt vor sich hin, es leuchtet dunkel, ist reine Atmosphäre, Mick Jagger singt es am Ende des Stegs, der weit ins Publikum reicht. Die Schöße seines offenen Seidenhemds wehen, als er an seinen Platz läuft. Die großartige Backgroundsängerin Lisa Fischer unterstützt ihn, und es ist ein Wunder, dass Jagger nicht einfach abhebt und wegfliegt. Das mag pathetisch klingen, aber nirgendwo liegt der Gedanke an ein Ende und an den Tod ferner als in einem Konzert der Rolling Stones. Sie dealen mit der Ewigkeit, in der Innentasche ihrer Mäntel haben sie das in Phiolen abgefüllte Elixier aus dem Jungbrunnen, und man saugt und lutscht jedes Lied aus in der Hoffnung, etwas davon zu schmecken.

Rolling Stones sind in Düsseldorf gelandet
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Foto: Christine Wolff

Jaggers dünne Beine stecken in schweren Turnschuhen, und manchmal nimmt er sich die Zeit, neben Keith Richards stehen zu bleiben. Richards trägt Stirnband in den Jamaika-Farben, er steht zumeist an derselben Stelle, nur manchmal lässt er den Bauch der Gitarre über den Boden schubbern und senst mit einem markanten Riff durch die Vergangenheit. Jagger hält es nie lange aus an einem Platz, er wird schnell unruhig, rennt auf der Stelle, die Knie fast an der Brust. Er spreizt die Finger und wirft die Hände fort, und dann kann er nicht mehr, dann muss er wieder los, hinaus auf den Steg, er möchte gerne schreien. Er ist wie eine Biene, er will Nektar saugen, Energie saufen, und er weiß: Er bekommt sie bei den Menschen.

Sie spielen "You Can't Always Get What You Want", "It's Only Rock'n'Roll", "Jumpin' Jack Flash" und "Brown Sugar". Das Set ist komplett anders als auf den vorangegangenen Konzerten der Tournee. Sie spielen ein umwerfendes "Out Of Control" aus dem Jahr 1997 und das neue "Doom And Gloom", das man kaum einem Jahrzehnt zuordnen kann, so klassisch und zugleich frisch klingt es. Ergreifend ist die Vorstellung der Band. Charlie Watts kommt in seinem knallroten T-Shirt nach vorne an den Bühnenrand und verbeugt sich. Ron Wood scheint um 25 Jahre verjüngt und hat sein grelles T-Shirt offenbar aus dem Kleiderschrank der jüngsten Tochter gestohlen. Er wird von Mick Jagger mit diesem Scherz bedacht: "Schönes T-Shirt. Gibt's das auch für Männer?". Und als Keith Richards nach vorne kommt, erheben sich auch diejenigen auf den Sitzplätzen. Sie jubeln, und es hört nicht auf, es ist ein Dankeschön für 50 Jahre, und Richards trommelt mit den Fäusten gegen seine Lenden und hockt sich hin wie ein Gorilla.

In jeder Stadt lassen die Stones die Fans über deren Lieblingslied abstimmen, das wird dann gespielt. Jagger sagt, er habe gehört, das Lieblingslied der Düsseldorfer heiße "Tage wie diese", was ein Ritterschlag für die Toten Hosen ist. Dann lacht er und singt "Street Fighting Man". Er fragt "Warum ist es am Rhein so schön?", und er spricht ein Englisch, das so ordinär ist und dabei so toll und faszinierend, dass man sich gern ein Hörbuch von ihm einlesen lassen möchte.

Normalerweise setzt sich ein Konzertereignis aus drei Elementen zusammen: die Musik, die Performance der Musiker und die Reaktion des Publikums. Hier wird diese Regel außer Kraft gesetzt, Musik und Performance sind beinahe egal, allein Musiker und Publikum sind wichtig. Das ist kein Konzert, sondern eine Begegnung, ein Zusammentreffen, und es ist nicht naiv zu glauben, dass das für die Band ebenso eindrucksvoll sein dürfte wie für ihre Fans. Das Konzert wird mit jedem Lied besser, intensiver, und zum Schluss geben die Stones den Klassiker, das Urmeter des Rock'n'Roll. Bei "Satisfaction" begreifen erwachsene Kinder, die einst von ihren Eltern nicht verstanden wurden, dass sie nun selbst Eltern von Kindern sind, die sie nicht verstehen. Sie begreifen, dass das nicht schlimm ist, sondern der Lauf der Welt, und dass alles wieder von vorne los gehen muss, damit jeder sein Leben leben kann, sein ganz eigenes. Genau so ist es gut, genau so, und auch wegen solcher Gedanken ist es bei den Rolling Stones so schön.

(RP)
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