Düsseldorf Ein Hauch von Kunst

Düsseldorf · Die Kunstsammlung zeigt Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Agnes Martin. Ausstellung und Atmosphäre sind sensationell.

 Blick in die Ausstellung mit Arbeiten der US-Künstlerin Agnes Martin im K 20.

Blick in die Ausstellung mit Arbeiten der US-Künstlerin Agnes Martin im K 20.

Foto: Achim Kukulies / Kunstsammlung NRW_

Das muss man erleben, wie es zugehen kann in einem Museum, wie die Menschen vor den Bildern sitzen, als wären das Kamine, und wie sie ausruhen vom hektischen Leben und sich daran wärmen. Wer in diesen Tagen die Ausstellung mit Arbeiten von Agnes Martin im K 20 besucht, wird spüren, dass das eine besondere Schau ist, weil man in den Bildern, über die sich Farbigkeit in feinen Schwaden ausbreitet, geradezu versinken kann.

Die 2004 gestorbene Agnes Martin ist erst in den vergangenen Jahren von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen worden, die Amerikanerin wuchs auf einer Farm auf, und Mitte der 1930er Jahre ging sie nach New York. Sie studierte Kunst, ihre Karriere begann dann in den 50er Jahren, und natürlich zeigt das K 20 auch die noch halbwegs gegenständlichen Arbeiten aus dieser Phase. Wichtiger, berührender aber ist, was folgt. 1967 verließ Martin die große Stadt, sie hielt es wie Bartleby in der Erzählung von Herman Melville, der bloß den Satz "Ich würde lieber nicht" sagt und schließlich verschwindet. Martin zog nach New Mexico und lebte in einem Lehmhaus, sie litt an Schizophrenie, sie flüchtete vor der Krankheit in die fernöstliche Philosophie und meditierte viel. Und: Sie malte nicht mehr, sieben Jahre lang. Sie dachte lieber nach, über die Kunst, und was sie dachte in dieser Zeit, klingt so: "Wenn ich an Kunst denke, denke ich an Schönheit. Schönheit ist das Rätsel des Lebens. Es ist nicht im Auge, es ist im Bewusstsein."

Das mag ein wenig esoterisch klingen, und vielleicht ist es das sogar, aber darauf sollte man sich ruhig mal einlassen. Agens Martin jedenfalls begann wieder zu malen, als sie zu sich selbst gefunden hatte, sie malte fortan auf quadratischen Leinwänden, und sie füllte die 183 mal 183 Zentimeter mit Streifen und Fäden. "Grid" heißt das Gitter aus horizontalen und vertikalen Linien, das sie auf die Leinwand legte, und irgendwann ließ sie die vertikalen Streifen auch noch weg, und dann blieb nur die Horizontale, die Linie des Ozeans also, die wichtigste Linie überhaupt. Pastellige Nebelbänder und aquarellartige Bahnen ziehen bei ihr von einer Seite zur anderen, und es ist, als sehe man Meereswellen zu, als schaue man auf einen Strand, und zwar genau an der Stelle, an der Wasser und Wind den Sand aufgeworfen, eingedrückt und geriffelt haben.

Es ist kaum zu glauben, wie stark diese Arbeiten auf den Betrachter wirken. Die Bilder scheinen zu vibrieren, und wenn man sich entfernt, zerfließen sie, lösen sich auf. Da sind keine Formen zu sehen, keine Räume, da ist nur Licht und Flimmern, da sind nur hellblaues Gewölk und rosagetränkter Dunst. Man kann sich kaum losreißen davon, und weil das so vielen der 15.000 Gäste so ging, die sich die Bilder bisher angesehen haben, hat die Kunstsammlung zusätzliche Hocker vor den Bildern platziert. Da sitzen nun Menschen, totale Kontemplation, völlige Ergriffenheit, Abwesenheit von Zeit. Und obwohl es still ist auf den beiden Etagen, stiller als sonst bei der Kunst, hört man, wie sich die Zahnräder in den Köpfen der Leute drehen, wie dort alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Bedeutung herauszuarbeiten, Gründe für diese verblüffende Zuneigung und Anziehung.

Als "Erneuerung der Erinnerung an Momente der Perfektion" bezeichnete Martin ihre Kunst. Mancher nennt ihre Arbeiten minimalistisch, aber man darf auf keinen Fall etwa einen Kollegen wie Mark Rothko als Vergleich heranziehen. Bei Martin stürzt man eben nicht ins Leere, im Vergleich mit Rothko ist sie eine Schwärmerin des Reduzierten, und im Grunde betreibt sie die absolute Abstraktion von Natur. So tragen ihre Arbeiten Titel wie "The Islands", "Beach" und "Summer".

Ein Hauch von Fernreise also. Man kehrt verändert heim.

(hols)
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