Düsseldorf Ehekrach zur Erdbeerbowle

Düsseldorf · Die Komödie ist mehr als Theater. Nun feierte dort ein Stück Premiere, in dem sich ein Ehepaar endlich mal die Meinung sagt.

 Nora von Collande und Herbert Herrmann sind in der Komödie an der Steinstraße zu sehen.

Nora von Collande und Herbert Herrmann sind in der Komödie an der Steinstraße zu sehen.

Foto: Thomas Grünholz

Pierre und Laurence sind schon viel zu lange ein Paar, und jetzt reden sie mal miteinander - damit ist die Ausgangslage von "Anderthalb Stunden zu spät" eigentlich auch schon erzählt.

Das Ehepaar ist zum Essen eingeladen, er steht schon im Anzug an der Tür, sie hat überhaupt keine Lust. Er knöpft sich den beigen Trenchcoat zu, der aussieht, als habe er ihn viel zu teuer in einem dieser Modeläden um den Jan-Wellem-Platz gekauft. Sie setzt sich aufs Sofa. Er sagt: "Ach, jetzt komm!" Sie will nicht.

Die Uhr tickt. Es ist 20 Minuten vor 9. Das zeigt eine "Sportschau"-Uhr an, die sie im Theater an die Wand projizieren lassen. Pierre sagt: "Wir kommen zu spät." Laurence fragt: "Ja?" Er: "Mit Sicherheit". Sie: "Ach ja, dann haben wir ja noch ein bisschen Zeit." Bisschen gaga alles. Erster großer Lacher in der Komödie, die mal wieder voll besetzt ist.

Es ist der Premierenabend für "Anderthalb Stunden zu spät", ein Zwei-Personen-Stück des französischen Theaterautors Gérald Sibleyras, das in Deutschland zurzeit von Nora von Collande und Herbert Herrmann aufgeführt wird. Vor anderthalb Jahren war die Erstaufführung in der Komödie am Berliner Kudamm, seitdem sind die beiden Schauspieler mit ihrem Stück auf Tournee und nun eben auch in der Komödie in Düsseldorf zu sehen. Und das ist genau der richtige Stoff für einen Abend in diesem kleinen Theater, in dem die Menschen nach der Vorstellung gern noch auf eine Erdbeerbowle bleiben und auch schon lange vorher da sind, draußen auf dem Gehweg stehen und quatschen. Manche rauchen sogar noch, aber das werden ja immer weniger, sagen die Leute. Drinnen sagen die Damen an der Garderobe, dass man Getränke mit reinnehmen darf, bitte aber in der Flasche und mit Strohhalm und nichts allzu Klebriges. Nur zwei junge Frauen trauen sich das wirklich und werden nach der Vorstellung von ihren Sitznachbarn gelobt. War gar nicht laut, hat nicht gestört. "Wir haben uns Mühe gegeben", erwidern die beiden.

Die Stimmung hier ist ja immer sehr familiär und freundlich und irgendwie aufgeschlossen, zumeist auch ausgelassen, und das passt gut zu diesem Stück, in dem sich zuletzt alle wieder vertragen, aber erst nach dem großen Knall. Denn Pierre und Laurence haben in den vergangenen 20 Jahren aneinander vorbeigelebt, in einer Penthouse-Wohnung in Paris: alles ganz schön weiß, auch das Sofa und der Beistelltisch, ein schlechtes, selbstgekleckstes Pollock-Imitat an der Wand und Untersetzer für jedes Glas Wein, das in dieser Modell-Bude getrunken wird. Er hasst das mit den Untersetzern, sie hasst seine Freunde, und nun werfen sie sich das alles einmal, aber erst nach und nach an den Kopf. Ein Schlagabtausch entwickelt sich in den paar Quadratmetern Kulisse, aus denen es für das Paar seit Jahren kein Entkommen mehr gibt. Die Kinder sind aus dem Haus, der Ruhestand naht. Das Leben ist gelebt und auch verschwendet, so empfindet Laurence das, das ist das eigentliche Problem. Er will nun endlich zu den Freunden. Sie sagt: "Ich lege mich da unter den Tisch und warte auf den Tod." Sie überdrehen nun richtig, Pierre droht an, sie zu verlassen. Sie: "Du lässt deine sterbende Frau zurück."

Das geht anderthalb Stunden so zackig, nur gibt es nach 60 Minuten eine Pause, und das ist ein echtes Manko. Denn der Bruch nimmt dem Stück die Echtzeit und damit das Tempo. Das ist leider ziemlich verschenkt.

Dennoch gibt's zuletzt stehend Ovationen und anschließend noch eine Bowle.

(kl)
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