Düsseldorf Die Schau vom Schämen

Düsseldorf · Im NRW-Forum sind bewegende Selbstbekenntnisse aufgebaut mit Fotos, die von Kleptomanie, Bulimie oder Lady-Boys handeln.

Diane findet es schwer, sich selbst zu akzeptieren. Obwohl man ihr auf den Kopf zusagen würde, dass sie hübsch ist, zweifelt sie an sich. Diane ist schüchtern. Sie leidet unter mangelndem Selbstbewusstsein. Die Kunststudentin erlaubte anderen, ein Porträt von ihr ohne Vorgaben zu machen. Sie übertrug ihnen die Kontrolle über ihr Bild, so verlor sie selbst Kontrolle. Am Ende war sie gezwungen, sich durch die Augen der anderen zu betrachten. Ein künstlerischer Versuch mit mehreren Fotos, die aufgetürmt werden zu einer fragilen Ich-Skulptur. Holzpaletten dienen als Werkstoff, als Legostein der Kunst. Weil sie so praktisch sind.

Während im Erdgeschoss des neuen NRW-Forums bei "Ego Update" übermütige Selfies die Besucher begeistern, geht es im Obergeschoss um das Gegenteil. In der mit "The Embarrassment Show" übertitelten Schau wollen sich die Künstler nicht selbst darstellen in einem Moment, den sie cool finden oder in einer selbstgefälligen Pose. Die vom Niederländer Erik Kessels kuratierte Scham-Schau zeigt vielmehr, was künstlerisch möglich ist, wenn man sich ungeniert blamiert. "Ego Downsizing statt Update, Dekonstruktion statt Ich-Aufbesserung", sagt Forums-Chef Alain Bieber. In der neuen Reihe will man die Zukunft des Mediums erforschen, das sich durch Digitalisierung und Vervielfältigung in den sozialen Medien in einem Wandel befindet.

Nie war bisher die dunkle Etage so geheimnisvoll und gleichzeitig irritierend bespielt. Die Scham-Schau präsentiert entblößte, verwundete Seelen, überwundene Neurosen, Ängste, Krisen. Dies alles verarbeiten Studenten der Kunsthochschule ECAL in Lausanne - jeder in seinem Block."Blamieren ist in Ordnung", gab ihnen Kurator Kessels mit auf den Weg. Er ist davon überzeugt, dass durch Fehler Entwicklungspotential frei wird. Auch Kreativität. Eine Botschaft ist: Was mich runterzieht, macht mich stark.

Gianni Camporota war als Jugendlicher kleptomanisch veranlagt, in der Erinnerung fotografiert er die gestohlenen Güter akkurat und verbaut sie zu einer Collage, die er als Endlos-Rolle anlegt. Sehr traurig, arg verwischt, schwarz-weiß sind die Fotos von Elsa Guillet - sie berichten von ihrer Bulimie, von Alltagssituationen, die sie durchlitt und die für sie ausgesprochen hässlich, erniedrigend und beschämend sind. Mut gehört dazu, das persönliche Chaos, die "leeren Momente", nach außen zu tragen.

Ein einziges großes Querformat präsentiert Stephane Mocan auf zu einer Kammer gefügten Paletten, auf den ersten Blick idyllisch. Ein schöner junger Mann und ein hübscher Junge, den er lässig in seinem Schoß hält. Der Kleine spielt mit seiner Playstation, es ist Sommer, die zwei sitzen auf einer von der Sonne beschienenen Wiese. Das Bild zeigt Stephane selbst mit seinem Au-Pair Gilles, der zur Familie gehörte. Viel später fand er einen Zeitungsartikel, in dem die Rede von einem Pädophilen war. Die Spur führt zu Gilles. Stephane kann sich an nichts Böses erinnern, die Assoziationen verarbeitet er in Fundstücken, die er in der Kammer hortet.

Wie Gebirge der Seele sind die Arbeiten aufgebaut, Schluchten, Kanten, Tiefen und Gipfel lassen sich verorten. Auch Wege, Pfade. Jede hat ihr Thema: schräg, schrill, immer schmerzhaft. Sehr verrückt ist die Kiste, in die sich Puithat Thongphubal zurückgezogen hat. Er liegt dort, fast nackt, trinkt Bier, schaut Videos. Nur gebückt kann man zu seiner Bettstatt vordringen. Puithat ist Thailänder. Er verarbeitet in dieser Installation das rege Treiben der Lady-Boys in seiner Heimat. Er erlebte die Prostitution in der Nähe seines Elternhauses hautnah mit. Die einzige Möglichkeit, die Scham darüber auszudrücken, ist für ihn, diese Situation persönlich nachzustellen. Was gefällt: Realität tränkt diese Ausstellung.

(RP)
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