Düsseldorf Die Macht der Folie

Düsseldorf · Für den Zuschauer soll das Bühnenbild von "Biografie: Ein Spiel" ganz einfach aussehen. Dahinter steckt allerdings viel Arbeit. Die Spiegelfolie kostet Tausende Euro.

 Viele Requisiten braucht "Biografie" nicht. Das Stück lebt vor allem von den Projektionen und den Licht- und Schatten-Effekten auf dem speziellen Spiegel. Für die Darsteller Katrin Hauptmann, Dirk Diekmann und Andreas Grothgar (hinten) war das Spiel hinter dem Spiegel eine Herausforderung, weil sie das Publikum nicht immer sehen konnten.

Viele Requisiten braucht "Biografie" nicht. Das Stück lebt vor allem von den Projektionen und den Licht- und Schatten-Effekten auf dem speziellen Spiegel. Für die Darsteller Katrin Hauptmann, Dirk Diekmann und Andreas Grothgar (hinten) war das Spiel hinter dem Spiegel eine Herausforderung, weil sie das Publikum nicht immer sehen konnten.

Foto: sebastian hoppe

Mal gibt er alles preis, mal verhüllt er, mal projiziert er, mal ist er halb durchlässig. Ohne ihn käme kein Hollywood-Krimi aus, ohne ihn wären Polizisten aufgeschmissen, weil sie Verhöre nicht verdeckt beobachten könnten. Ohne ihn traute sich vermutlich kein Zeuge, einen Täter zu identifizieren. Der venezianische Spiegel mit seiner speziellen Folie darf auch im echten Leben auf keinem Polizeirevier fehlen. Jetzt ist der Spiegel, dessen Folie so sensibel ist, dass ein einziges Sandkörnchen ausreicht, um sie zum Reißen zu bringen, im Theater angekommen.

Niemand interessiert sich normalerweise für diese Folie, denn sie ist doch nur eine von vielen Requisiten. Bühnenbildner Heinz Hauser und Günther Beelitz, der scheidende Intendant des Schauspielhauses, wissen aber um die Besonderheit dieser speziellen Spiegel-Folie. Deshalb übernimmt sie in Beelitz' Abschieds-Inszenierung "Biografie: Ein Spiel" mehr als nur eine Nebenrolle. Ohne dieses Material hätte der Regisseur die Geschichte von Max Frisch nicht umsetzen können, so wie er sie sich vorgestellt hatte. Erst mit Hilfe dieser Folie konnte Beelitz das Spiel im Spiel konzipieren. Viel mehr als ein paar Bühnenmöbel, wie eine Sitzecke und ein paar Flaschen gefüllt mit hochprozentigem Alkohol braucht "Biografie" dann auch nicht, um zu funktionieren.

"Was so einfach aussieht, ist aber sehr kompliziert", sagt Beelitz. Allein für den Aufbau des Bühnenbilds braucht es drei Stunden, für das Einleuchten kommt eine weitere Stunde dazu, plus Zeit für Video und Ton. Das ist vor allem den engen Gängen im Central geschuldet. "Im Schauspielhaus hätten wir den Folien-Spiegel vermutlich nicht jedes Mal auseinanderbauen müssen", meint der Regisseur.

Sieben mal siebeneinhalb Meter groß ist die Konstruktion, rund 400 Kilo wiegt sie. Die einzelnen Spiegelbahnen werden in speziellen Boxen gelagert und kosten pro Stück 1100 Euro - eine Spezialanfertigung aus München. Auf einer Art Tisch werden die einzelnen gerahmten Bahnen zusammengesetzt, schludriges Arbeiten rächt sich sofort. Die Folien knittern und sind faltig und müssen im Anschluss ganz vorsichtig wieder von Hand geglättet werden. Befestigt wird der venezianische Spiegel - der auch Einwegspiegel genannt wird, weil er nur bedingt seine Umgebung abbildet - an zwölf Seilen, die die Konstruktion langsam aufrichten. Die leicht schräge Position wird der Spiegel während des Stücks nicht mehr verändern, dafür aber die Bilder, die er zeigt - oder eben nicht zeigt.

"Es gelingt nicht immer, eine absolute Symbiose zwischen Bühne und Inhalt zu schaffen", sagt Günther Beelitz. In der Inszenierung von "Biografie" allerdings funktioniert dieses Zusammenspiel. Der Regisseur lässt seine Hauptfigur, den Verhaltensforscher Hannes Kürmann, durch die verschiedenen Dimensionen der Zeit reisen. Kürmann versucht, sein Leben noch einmal zu leben. Er kann begangene Fehler in seiner Biografie korrigieren, wie es ihm gefällt. Durch den Spiegel wird die Bühne mehrdimensional, und er scheint nur das zu zeigen, was ihm beliebt. Mal bildet er das Geschehen auf der Bühne ab, und wenige Sekunden später dringt durch diese Spiegelung etwas aus dem Hinterraum. Dafür verantwortlich ist Licht-Designer Jean-Mario Bessière, der den Spiegel steuert, ihm quasi Leben einhaucht.

Mit Bühnenarchitekt Heinz Hauser hat Günther Beelitz das Stück interpretiert. Vier Vorschläge brachte Hauser mit, "nach zehn Minuten war klar, welches Bühnenbild es wird", erzählt Beelitz. Die Spiegel-Konstruktion hatte ihn fasziniert - von den übrigen drei Ideen will der Regisseur nichts erzählen. "Die sind auch nicht interessant, weil wir uns gegen sie entschieden haben", sagt er. Um die grundräumliche Situation zu begreifen, fertigte der Bühnenbildner von Hand ein kleines Modell. "Wir haben Szene für Szene durchgespielt, um zu schauen, was wir ändern müssen", erklärt Beelitz. Nur das Licht könne man nicht simulieren, "das muss man sich vorstellen", sagt er. Schwierig bei einem Stück, das von Licht und Schatten lebt. "Bühnenbildner denken nicht immer in Licht", ergänzt Jean-Mario Bessière. "Manchmal kann man physikalische Gesetze einfach nicht aushebeln." Und es gibt Bühnenbildner, die nicht an die Darsteller denken. Ein bisschen ist es auch bei "Biografie" so, weil die Akteure in manchen Szenen das Publikum nicht sehen können, wenn sie zum Beispiel hinter dem Spiegel stehen und das Licht von vorne auf die Folie trifft. "Das ist ein komisches Gefühl", sagt Beelitz wissend.

Zum Glück sind die Schauspieler Profis, und noch glücklicher ist der Intendant darüber, dass es in Deutschland die Möglichkeit gibt, Bühnenbilder aus künstlerischen Gründen zu ändern. Weil den meisten deutschsprachigen Häusern immer Werkstätten angeschlossen sind. "Wir haben ein gutes Theater-System. In anderen Ländern kommt die Dekoration von außerhalb, da muss man mit Fehlern leben", sagt Beelitz. Und mit Licht, das nicht zur Inszenierung passt, und Darstellern, die sich in ihrer Umgebung unwohl fühlen. Hauptsache, der Zuschauer glaubt am Ende, dass alles ganz harmonisch ist, weil es einfach ist und passt, weil der Regisseur eben jene Symbiose zwischen Spiel und Bühne geschaffen hat.

(RP)
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