Serie: Die Sichere Bank (1) "Die ist schon seit Tagen unpünktlich"

Düsseldorf · Viele Düsseldorfer haben eine Lieblingsbank, auf der sie regelmäßig sitzen, das geschäftige Treiben beobachten oder die Stille genießen. Unsere Kulturredaktion beschreibt ihre liebsten Bänke in der Stadt - und beginnt am Flughafen. Dort versammeln sich Flugzeug-Enthusiasten.

 RP-Redakteur Wolfram Goertz auf seiner Lieblingsbank im Norden des Düsseldorfer Flughafens.

RP-Redakteur Wolfram Goertz auf seiner Lieblingsbank im Norden des Düsseldorfer Flughafens.

Foto: Christiane Keller

Es erhob sich aber ein Rauschen vom Himmel, ein Dröhnen erfüllte die Luft. Alles vibrierte, und die Vögel flatterten wütend, denn es nahten blinkende Ungetüme, die mit dem Lärm von Posaunen die Menschen heimsuchten. Weh, weh ihnen, die unter diesem Himmel wohnen, denn die nächsten Posaunen sind bereits zu sehen und zu hören.

Nein, wir befinden uns nicht im Neuen Testament, nicht in der Apokalypse des Johannes, sondern in Kalkum. Dort, im Düsseldorfer Norden, gibt es ein hübsches Schloss, die bedeutende Lambertus-Kirche, die Wassermühle am Schwarzbach - und den Spazierweg am Zaun des Flughafens. Dort gehen gern Leute spazieren, sie joggen, radeln, führen Hunde aus, sitzen auf Bänken am Wegesrand, und vor ihren Augen ragt dieser riesige Zaun, der an ein militärisches Sperrgebiet denken lässt. Er schützt den Flughafen vor Unbefugten; minütlich fahren Polizei und Wachdienst hier Streife.

Es gibt viele Menschen, die diesen Weg einzig des Flughafens wegen betreten. Dort steht meine Lieblingsbank. Man erreicht sie von der Kalkumer Schlossallee in Höhe der Straße An der Reith. Von dort führt ein Weg gen Süden, parallel zur B 8, bis man auf Zaun, Weg und Bank stößt. Oft sitze ich dort, um im Sinne eines Lieds der Bläck Fööss nachzusehen: Wer kütt aan und wer fährt fott? Man kann hier, die Jets direkt vor Augen, herrlich virtuell über die Welt fantasieren und sich ausmalen, wohin man mal reisen könnte. Und wohin nicht: In dem Vogel mit dem Turkish-Airlines-Logo, der da vor dem Start die Triebwerke schnauben lässt, möchte ich jetzt und künftig keinesfalls sitzen.

Verkehrsflugzeuge finde ich großartig, sie sind ein ebenso grandioses wie zuverlässiges Vorzeigeobjekt menschlicher Konstruktionsfähigkeit. Unvermeidlich stinken sie nach Kerosin, das man je nach Wind auch auf der Bank deutlich riecht. Für manche Menschen und ihr latentes Fernweh ist Kerosingeruch eine Art Droge. Sie müssen ihn nur schnuppern, schon wollen sie sich ein Ticket kaufen. Allerdings ist das Zeug schädlich für die Gesundheit. Man frage mal die Anrainer.

Jenen Vergleich mit den Posaunen sollte man übrigens nicht zu ernst nehmen, denn Verkehrsflugzeuge von heute sind deutlich leiser als früher. Das ist wichtig, denn es gibt ja auch viel mehr Verkehr am Himmel. Deshalb ist ein Flughafen ein Musterbeispiel, wie präzise und routiniert die Welt große logistische Abwicklungen bewältigt (sieht man von den Verspätungen ab). Wenn man auf der Bank sitzt und den Flugbetrieb bestaunt, ahnt man nur blaß, welche Vorbereitungen zu treffen waren, damit der (unschlagbar zierliche) Canadair-Jet nach Budapest gerade jetzt und nicht zwei Minuten später abhebt.

Am Himmel sind viele Typen unterwegs, sie sind mit zahllosen Farben und Emblemen lackiert, die es zu ergründen gilt; es gibt natürlich auch mehr Fluggesellschaften als früher. Auf meiner Bank lerne ich, sie zu identifizieren, denn immer sagt mir das Internet, wer gerade ankommt oder abhebt. Die Finnair aus Helsinki mit dem eleganten Airbus A321. Die Delta aus Atlanta mit der schneidigen Boeing 767. Die Lot aus Warschau mit der geschrumpft wirkenden Embraer-Maschine.

Hier, in der Nähe meiner Bank, die im Bann fliegerischer Geschäftigkeit steht und selbst wunderbaren Frieden ausstrahlt, stehen zu manchen Tageszeiten und bei gutem Wetter sehr spezielle Leute, meistens Männer. Sie wissen über Flugzeuge, über Details, Herkunft und Zielort weitaus besser Bescheid als ich. Sie sind keine Passanten und Flaneure, sondern Profis. Einige haben Leitern dabei, auf die sie klettern, um über den Zaun hinweg mit sehr guten Fotoapparaten Bilder zu machen von Airlines und Düsenjets, die in ihrer Sammlung fehlen.

Wenn sie nicht auf der Leiter stehen, hört man sie angeregt fachsimpeln ("Die SAS aus Kopenhagen ist schon seit Tagen unpünktlich" oder "Schade, dass Air France die Hecks bei einigen Airbussen umlackiert hat"). Doch sobald sich ein neues Rauschen erhebt, müssen sie hurtig wieder auf die Leiter. Planespotter nennt man diese Leute, sie sind ein liebenswertes Völkchen, das hier am Flughafen regelmäßig etwas zu fotografieren findet, nicht nur wenn zweimal pro Tag "der Dicke" kommt (nämlich der Airbus A 380 aus Dubai, täglich um 13.25 Uhr und um 19.40 Uhr).

Andere sind mit dem Fernglas hier, aber immerhin. Die wollen nur gucken. Reizend das ältere Ehepaar, das ich oft abends gegen 18.30 Uhr hier antreffe. Beide sitzen auf der Nachbarbank, halten einander bei der Hand und schauen diesen dröhnenden Ungetümen zu, die "Düsseldorf International" ihre Aufwartung machen. Andere Opas kommen mit ihren Enkeln und führen ihr Staunen als Duett auf.

Diese Bank am Flughafen hat eine fast krisensichere Eigenschaft, die alle Düsseldorfer Lieblingsbänke vereint: Auf ihr herrscht zauberhafter Stillstand, während die Welt ringsum in Bewegung ist.

(w.g.)
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