Düsseldorf Das Schicksal der kleinen Ehra

Düsseldorf · Kohlezeichnungen und Holzschnitte von Otto Pankok erinnern in der Heerdter Bunkerkirche an Düsseldorfer Sinti im "Dritten Reich".

Die kleine Ehra war Otto Pankoks Lieblingsmotiv: ein Kind mit wuscheligem schwarzen Haar, die Augen ahnungsvoll in eine unheilvolle Zukunft gerichtet. Der Maler, Grafiker und Bildhauer, der vor allem durch seine schwarz-weißen Kohlezeichnungen Berühmtheit erlangte und nach dem Zweiten Weltkrieg Professor an der Düsseldorfer Akademie wurde, hat Ehra wie auch viele andere Sinti-Kinder zu Beginn der 30er Jahre porträtiert und in ihrer Umgebung gezeigt. Das war das Heinefeld, Vorgänger-Quartier jener Gebäude am Höherweg, in welche später die Nazis die Sinti sperrten und die von Zeitzeugen als Vorwegnahme der Konzentrationslager geschildert wurden. Eine Ausstellung im Keller der Heerdter Bunkerkirche lässt diese Zeit auf grauenvolle Art wieder erstehen.

Es ist bereits die zweite Auswahl von Blättern, die das Otto-Pankok-Museum in Hünxe nach Heerdt lieh. Man erkennt etliche Gesichter aus der vorigen Schau wieder und ist dennoch so aufgewühlt wie beim ersten Mal. Denn Ehra hatte zwar das Konzentrationslager, das sich ihrer Haft in Düsseldorf anschloss, überlebt, doch sie war eine Ausnahme. Die meisten anderen Kinder überlebten nur in Pankoks Zeichnungen, so als habe der Künstler der Nachwelt übermitteln wollen: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Ein Abguss der 1955 von Pankok geschaffenen Bronzefigur der Ehra steht heute als Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma am Alten Hafen in der Nähe der Rheinuferpromenade - für die weit mehr als 100 Sinti des Internierungslagers, die das "Dritte Reich" nicht überlebten.

Zum 50. Todestag von Pankok am 20. Oktober erinnert die Ausstellung mit ihren Bildern daran, wie der Künstler auf dem Heinefeld sein Atelier eingerichtet hatte, wie er das natürliche Leben der Sinti bewunderte und wie er diese Menschen liebgewann - und die Kinder dennoch so wiedergab, wie er sie empfand: mit erschreckend erwachsenen Gesichtern.

Unglaubliche Geschichten verstecken sich hinter den Namen. Von Gaisa zum Beispiel ist bekannt, dass die nationalsozialistischen Schergen sie ins Konzentrationslager Birkenau verschleppten, dass sie dort mehrfach vergewaltigt wurde, nach dem Krieg seelisch und physisch ausgemergelt und mit einem ungewollten Kind nach Düsseldorf zurückkehrte. Dort fand sie sich im ehemaligen Internierungslager am Höherweg wieder. Auch der SS-Mann, der sie seinerzeit drangsaliert hatte, war wieder da - untergetaucht, um der Bestrafung durch die Alliierten zu entgehen. Als er in Oberkassel einen Einbruch verübte, wurde er geschnappt und festgesetzt.

Ulrike Bornewasser, Sprecherin der Initiative Friedensort Bunkerkirche und Kuratorin der Ausstellung, berichtet von den zahlreichen Besuchern der ersten Schau, die bei Führungen eigene Erinnerungen beisteuerten. Manche waren offenbar froh, dass sie über dieses Thema sprechen konnten.

Die jetzige Pankok-Schau findet an Ort und Stelle eine Fortsetzung mit Bildern der tschechischen Künstlerin Míla Dolezelová (1948-1993). Auch sie befasste sich mit dem Leben der Sinti und Roma aus eigener Erfahrung: aus dem unmittelbaren Umgang mit Roma-Familien. Massige Gesichter, riesige Augen, Füße und Hände, knallige Farben, randvoll bemalte Leinwände - so hat Míla Dolezelová das Thema umgesetzt. In Erinnerung aber bleiben vor allem die stillen schwarz-weißen Darstellungen Otto Pankoks: Dinili, die hübsche Taubstumme, die sich im Tanz auslebte, Gaisa, die vom Unheil Verfolgte, und jene Ehra, die zum Denkmal wurde.

(B.M.)
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