Düsseldorf "Ich hätte da mal eine Frage"

Düsseldorf · Die "Nummer gegen Kummer" wählen pro Jahr mehr als 10.000 Kinder und Jugendliche. Die Gründe reichen von Liebeskummer und Mobbing bis zu Missbrauch.

 Diana Goldermann-Wolf ist die Koordinatorin des Düsseldorfer Kinder- und Jugendtelefons.

Diana Goldermann-Wolf ist die Koordinatorin des Düsseldorfer Kinder- und Jugendtelefons.

Foto: Andreas Bretz

Der Anfang klingt meist harmlos. "Ich hätt' da mal 'ne Frage", sagen Kinder und Jugendliche oft, wenn sie die 116 111, die "Nummer gegen Kummer" anrufen. Ob der vorsichtige oder der forsche Typ, fast immer gilt: erst mal rantasten, ob man mit dem Menschen am anderen Ende der Leitung überhaupt reden kann, bevor die wirklich wichtigen Themen zur Sprache kommen. Und um die geht es hier fast immer. Denn wer jung ist, hat oft eine schwere Last zu tragen.

Erst hat sie nur geweint, minutenlang. Dann kamen stockend erste Worte. 16 Jahre ist sie, schwanger. Und verzweifelt. Was sagt man einem Mädchen in einem solchen Moment? Am Telefon? Die Frage geht an Anne und Beate, ihre Nachnamen bleiben ungenannt, denn beim Kinder- und Jugendtelefon sind nicht nur Anrufer, sondern auch das Berater-Team anonym - so redet es sich leichter. Die beiden Frauen wirken, als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen, beide sind erfahren im Umgang mit jungen Menschen. Beate sagt: "In meiner Zeit als Hauptschullehrerin war nie genug Zeit, um sich wirklich um die Probleme der Jugendlichen zu kümmern." Heute könne sie nachholen, was sie damals verpasst habe.

Anne war gerade am Telefon, als die 16-Jährige anrief. Der hat sie gesagt, dass es viele Möglichkeiten der Hilfe gibt. "Ich habe sie gefragt, wie sie zum Vater des Kindes steht, ob sie Vertrauen zu ihren Eltern hat." Dann hat sie vom umfassenden Angebot von Pro Familia erzählt, von den Mutter-Kind-Wohnungen, die jungen Müttern die Chance bieten, die Schule abzuschließen. "Und ich habe ihr gesagt, dass sie eine Wahl hat."

Rüstzeug für diese ehrenamtliche Arbeit sind nicht nur Lebenserfahrung und Intuition. Das Team (23 Menschen zwischen 27 und 74 Jahren) wurden auf diese Aufgabe intensiv vorbereitet - mit vielen Stunden Schulung, Besuchen bei Pro Familie und anderen Einrichtungen, mit Rollenspielen. Dabei haben sie gelernt, den jungen Anrufern zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen, sich nicht provozieren zu lassen, auch wenn das ihre Geduld oft auf eine harte Probe stellt. Und sich auf die ganze Palette von Problemen einzulassen, mit denen Jugendliche zu kämpfen haben: Liebeskummer, den man nicht mit der Facebook-Gemeinde erörtern will, Mobbing in der Schule, weil man sich keine Markenklamotten leisten kann oder auch die Scheidung der Eltern, für die man sich irgendwie verantwortlich fühlt.

Diese Schwierigkeiten seien eben auch ein Spiegel gesellschaftlicher Umbrüche. "In vielen Familien wird nicht mehr richtig geredet", so die Beraterinnen. Da fragt der Vater: "Wie war's in der Schule?" "Gut." "Ist ja prima." Dass seine Tochter gerade fassungslos ist, weil ihr Ex-Freund intime Fotos ins Netz gestellt hat, erfährt er nicht. Aber am Telefon trauen sich Jugendliche vielleicht darüber zu reden.

Selbst über Gewalt in Familien, über Missbrauch. "Man sagt, dass ein missbrauchtes Kind mit sieben Erwachsenen reden muss, bis ihm einer glaubt", berichtet Diana Goldermann-Wolf, Koordinatorin des Kinder- und Jugendtelefons. "Bei uns wird es sofort ernst genommen."

Über 10.000 Mal wurde im vergangenen Jahr die "Nummer gegen Kummer" gewählt. Nicht immer stehen drängende Probleme hinter dem Anruf. "Manchmal machen sich die Kids auch einfach nur einen Jux daraus", meint Anne. Wenn der gelegentlich auch nur vordergründig ist. Denn manche Anrufer rücken dann doch mit der Sprache raus, wenn sie feststellen, "dass man mit der Alten reden kann."

Ein Junge wollte einmal wissen, was man in ihrem Job denn eigentlich so verdienen könne. "Als ich dem sagte, dass wir kein Geld dafür bekommen, war er dann sprachlos."

(RP)
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