Auf ein Wort Gott nimmt die Position des Opfers ein

Düsseldorf · Wer auf einem Ehrenplatz sitzt, wird besonders beachtet. Einfluss, Macht und Herrschaft bilden wir auf diese Weise in unserer Gesellschaft ab. Welchen Platz ich wähle oder welcher mir zugewiesen wird, sagt etwas über meine Position und Rolle im gesellschaftlichen Gefüge aus.

 Henrike Tetz ist die Superintendentin der Evangelischen Kirche in Düsseldorf. In ihrer Kolumne spricht sie über das Osterfest.

Henrike Tetz ist die Superintendentin der Evangelischen Kirche in Düsseldorf. In ihrer Kolumne spricht sie über das Osterfest.

Foto: Andreas Endermann

Deshalb sind Positionskämpfe in vielen unserer Lebensbereiche an der Tagesordnung. Das war schon immer so.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die Geschichte Jesu von Gründonnerstag bis Ostersonntag. Am eindrücklichsten lesen wir das im Markus-Evangelium. Dort wird erzählt, wie Jesus seine Jünger auf seinen Leidensweg vorbereitet. Doch die verstehen ihn nicht. Stattdessen wenden sich zwei der Zwölf mit der Bitte an ihn, später, wenn er in seinem Reich herrscht, rechts und links neben ihm sitzen zu dürfen. Die anderen sind empört.

Wieso versuchen die zwei sich schon jetzt die besten Plätze zu sichern? Und gebührt nicht auch ihnen ein Ehrenplatz?

Was Jesu Herrschaft bedeutet, missverstehen sie gründlich. Gut möglich, dass Judas Jesus deshalb verrät, um ihn zu einer Manifestation seiner Herrschaft herauszufordern. Wenn er Gottes Sohn und der zukünftige Herrscher der Welt ist, dann wird er sich retten können und seine Gegner besiegen. Scheinbar passiert aber das Gegenteil. Jesus wird verhaftet, unschuldig zum Tode verurteilt und am Kreuz wie ein Verbrecher hingerichtet.

Markus erzählt eindringlich, wie Jesus mehr und mehr isoliert wird. Im Garten Gethsemane verschlafen die Jünger Jesu angstvolle Vorbereitung auf das, was ihm bevorsteht. Von den Soldaten wird er abgeführt. Seine Jünger ziehen sich zurück. Der Prozess gegen ihn ist ein einziger Albtraum. Falsche Zeugenaussagen werden gegen ihn ins Feld geführt, auf die Jesus nichts entgegnet. Auf dem Höhepunkt des Prozesses fragt ihn der Hohepriester, ob er Gottes Sohn sei. Nur dieses eine Mal antwortet Jesus: "Ich bin's." In diesem Moment gibt Gott sich in Jesus zu erkennen. Danach bricht die Hölle los und Jesus wird zu Tode gebracht.

Der Evangelist Markus erzählt Jesu Geschichte konsequent als die Geschichte eines Opfers. Isoliert und verachtet geht Jesus seinen Weg ans Kreuz. Rechts und links von ihm werden zwei Verbrecher gekreuzigt. Dass sich in Jesus, in diesem Opfer von gewaltsamen Machterhalt und menschlicher Willkür, Gottes Herrschaft erweist, erkennen seine Jünger nicht. Als am Ostermorgen die Frauen vom leeren Grab zurückkommen, können sie deren Bericht kaum glauben. Nur langsam erkennen sie, dass Gottes Herrschaft anders ist, als sie es sich vorstellen.

Gott nimmt die Position des Opfers ein, um lebensfeindliche, todbringende Mächte und Gewalten zu besiegen. Er ist tief unten zu finden und nicht hoch oben. Für Jesu Nachfolger bedeutet das eine radikale Neuorientierung. Gottes Herrschaft ist anders: Nicht um Macht auf Kosten anderer geht es. Auch nicht darum, andere zum Opfer zu machen, um selbst voranzukommen. Rangstreitigkeiten gehen an der Sache vorbei. Damit verstehen Jesu Nachfolger sich und ihre Aufgabe in der Welt neu: die Herrschaft Gottes voranzubringen und nicht ihre eigene. Am Ostermorgen hat ihr neues Leben begonnen.

(RP)
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