Düsseldorf Fünf-Sterne-Blick und Vierbettzimmer

Düsseldorf · Die Jugendherberge in Oberkassel hat sich in ein Tagungshotel verwandelt. Aber auch um Schulklassen wird intensiv geworben.

 Ein Ort, der zum Austausch anregt: Jessica Schaaf (v.l.) und Noria Ripolles auf einer Bank vor der Jugendherberge.

Ein Ort, der zum Austausch anregt: Jessica Schaaf (v.l.) und Noria Ripolles auf einer Bank vor der Jugendherberge.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Andrea Kumpfe schöpft Kartoffel-Gratin auf Teller. "Wenn an der Essensausgabe mittags eine Schlange steht, packe ich schnell mit an", sagt sie. Hätte sie früher, als sie im Management eines Hotels war, nicht gemacht. Aber als Chefin der Düsseldorfer Jugendherberge - ein Ort, der das Zeug zum Verwandlungskünstler hat - ist auch ihr Job ein Teil des Wandels. Nur die Berufsbezeichnung stammt aus alter Zeit: Herbergsmutter. Moment mal, waren das nicht resolute Frauen in Kittelschürzen, die Margarineschnitten schmierten und Hagebuttentee aus Blechkannen ausschenkten? Andrea Kumpfe lacht: "Das ist lange her." Und Hagebuttentee kann sie nicht ausstehen.

Der Blick ist fünf Sterne wert: vorn eine Reihe Platanen, dahinter der silbern glitzernde Rhein. "Welches Hotel hat schon eine solche Aussicht?", meint Konstantin L., der die Nacht zuvor in einem der Herbergszimmer verbrachte. "Das hatte Hotelstandard mit eigener Dusche, separatem WC und Fernseher." Im Auftrag eines Baumarktes war er von Solingen nach Düsseldorf gekommen, um die Auszubildenden seines Unternehmens zu trainieren. "Aber ich habe hier auch schon privat geschlafen, nach einem Altstadtbummel." 70 Euro hat er soeben für sein Zimmer bezahlt, das üppige Frühstücksbüffet inklusive - "find ich preiswert."

 Vanessa Schneider an der Essensausgabe der Jugendherberge, die wie ein modernes Selbstbedienungsrestaurants angelegt ist.

Vanessa Schneider an der Essensausgabe der Jugendherberge, die wie ein modernes Selbstbedienungsrestaurants angelegt ist.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Ein Manager in der Jugendherberge? "Das ist heute nicht ungewöhnlich", meint Andrea Kumpfe. Früher lebten die Jugendherbergen von Schülern auf Klassenfahrt, das hat sich radikal verändert, seitdem das alte Oberkasseler Haus 2008 durch einen Neubau ersetzt wurde. Nun fällt die Fassade auf durch ihren kessen Schwung und die anthrazitgrauen Klinker, unterbrochen von gelben, orangenen und roten Farbakzenten. Im Restaurant, ganz cool mit schwarzem Holz und schneeweißem Mobiliar, bekennen rote Blüten Farbe.

Die Hotelatmosphäre wird auch geschätzt von Tagungsteilnehmern, wie in dieser Woche, als der Landschaftsverband Rheinland 120 Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen einlud. Jedenfalls: Jung muss niemand mehr sein, der hier wohnt. Aber die Schulklassen kommen immer noch - aus ganz Deutschland und manchmal darüber hinaus. Gibt's mit denen oft Ärger? "Nicht mehr als früher, aber da das meist pubertierende Jugendliche sind, lärmen die schon mal am späten Abend auf den Fluren. Oder trinken beim Altstadtbesuch ein Glas zu viel." Andrea Kumpfe, die gemeinsam mit ihrem Mann Michael das Haus leitet, wirkt nicht so, als sei sie leicht zu erschüttern. Jedenfalls seien die jungen Gäste, ob Schüler aus Buxtehude oder Studenten aus Florida, heute anspruchsvoller. "Die können sie nicht mehr wie früher in ein Zehnbettzimmer stecken." Sitzgruppen zum "Chillen" seien erwünscht, und ohne Internet ginge schon mal gar nichts. Die Oberkasseler Herberge hat sich diesen Ansprüchen spätestens mit dem Neubau angepasst. Jetzt haben die Zimmer, die für Klassenfahrten gebucht werden, maximal vier Betten und ein eigenes Bad. Es gibt Lounge-Bereiche, im Keller eine Disco und spezielle Reisethemen wie die Werks-Besichtigung von Teekasse mit abendlichen Cocktail-Mixen auf Teebasis.

 Manager Konstantin L. in einem typischen Herbergszimmer - für die Übernachtung hat er inklusive Frühstücksbüffet 70 Euro bezahlt.

Manager Konstantin L. in einem typischen Herbergszimmer - für die Übernachtung hat er inklusive Frühstücksbüffet 70 Euro bezahlt.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

"Wir betreiben bundesweit ein intensives Marketing", so die Herbergsmutter. Und das gilt nicht nur für das jugendliche Publikum, sondern auch für Familien, denen spezielle Zimmer (und Preise) angeboten werden. Denn die Jugendherbergen stehen auch in einem Konkurrenzverhältnis untereinander. Jeder wisse nun mal, dass Köln mit dem Dom gesegnet sei. Was man in Düsseldorf zu erwarten habe, würde sich Gästen nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen. "Die Stadt ist jung, bunt und lebendig", steht im Prospekt der Jugendherberge, Andrea Kumpfe ergänzt: "Düsseldorf ist die Stadt der vielen Möglichkeiten."

Und mit diesem Slogan sollen künftig auch wieder mehr Schulklassen angelockt werden, ihr Anteil an der Gesamtgästezahl ist zuletzt auf 20 Prozent geschrumpft. Zumal sich ein Trend erkennen ließe, viele Abschlussklassen würden Ziele im eigenen Land bevorzugen. "Aber das Schönste an einer Jugendherberge ist doch, dass hier Manager und Schüler, Familien mit kleinen Kindern nebeneinander frühstücken. Keiner fühlt sich gestört, wo gibt es das sonst?" Es seien alle willkommen, fast alle. Als die AfD neulich Tagungsräume buchen wollte, gab's eine Absage. Die Jugendherberge sei ein weltoffener Ort.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort