Düsseldorfer helfen Flüchtlingen Zwei Problemlöser für Familie Assaf

Düsseldorf · Ein Düsseldorfer Ehepaar hat eine syrische Familie per Zufall kennengelernt und dann bei allem unterstützt – vom Deutsch lernen bis zu den Ämtergängen. Die erfolgreiche Geschichte, wie private Flüchtlingshilfe funktionieren kann.

 Seit Kurzem leben die Assafs in ihrer eigenen Wohnung. Frank Geisse (4. v. li.) und seine Frau Bettina (3. v. re.) besuchen Farhan (r.) und seine Familie häufig.

Seit Kurzem leben die Assafs in ihrer eigenen Wohnung. Frank Geisse (4. v. li.) und seine Frau Bettina (3. v. re.) besuchen Farhan (r.) und seine Familie häufig.

Foto: Bretz

Ein Düsseldorfer Ehepaar hat eine syrische Familie per Zufall kennengelernt und dann bei allem unterstützt — vom Deutsch lernen bis zu den Ämtergängen. Die erfolgreiche Geschichte, wie private Flüchtlingshilfe funktionieren kann.

Farhan Assaf zieht eine kleine weiße Tüte aus seiner Umhängetasche. In dem unscheinbaren Plastikbeutel befindet sich sein größter Schatz: kein Geld, kein Schmuck, sondern sieben Ausweise - sein eigener, der seiner Frau und die der fünf Kinder. Aufenthaltserlaubnis steht auf den nagelneuen Chip-Karten, die bis 2018 gültig sind. Dass er heute im Besitz dieser Dokumente ist, die ihm sowohl das Bleiben in Deutschland ermöglichen als auch eine Arbeitserlaubnis zusprechen, hat er vor allem dem Ehepaar zu verdanken, in dessen Esszimmer der 40-Jährige gerade mit seiner Frau und der jüngsten Tochter bei Tee und Keksen sitzt. Das Düsseldorfer Ehepaar Frank und Bettina Geisse hat die syrische Familie bei allen Behördengängen unterstützt und begleitet.

Als Farhan Assaf an einem Sonntagmorgen im August vor der evangelischen Kirche an der Tersteegenstraße in Düsseldorf-Golzheim steht, spricht ihn Frank Geisse spontan an. Der Mann erscheint ihm freundlich, gepflegt - und suchend. "Ich dachte mir, dass es sich um einen Flüchtling handeln könnte", sagt der 79-Jährige. Er will wissen, woher der Mann kommt. Doch mit der Verständigung klappt es nicht auf Anhieb, denn Farhan Assaf, der seit Dezember 2014 in Deutschland ist, spricht kaum ein Wort Deutsch. Bettina Geisse kommt eine Idee. Sie zückt das Handy und öffnet eine Übersetzungs-App, "man gibt Deutsch ein und Arabisch kommt raus", erklärt sie. Damit klappt es mit der Kontaktaufnahme und einem kurzen Austausch. Es ist das erste Mal, sagt Assaf rückblickend, dass ihn seit seiner Ankunft in Düsseldorf ein Einheimischer anspricht. "Er hat mich als Person wahrgenommen", sagt Farhan Assaf. Dafür und für alles andere, was sich danach entwickelt, ist er "Papa Frank" und "Mama Bettina", wie er die beiden nennt, bis heute dankbar.

Die Geisses erfahren, dass Farhan Assaf aus einem Dorf in Syrien stammt, ungefähr 80 Kilometer von Aleppo entfernt. Als Schneider hat er dort gearbeitet, manchmal auch als Lkw-Fahrer, wenn das Geld knapp war und es Arbeit gab. Dann bricht 2011 der Bürgerkrieg aus. Assaf flüchtet aus seiner Heimat, die ihm nicht mehr sicher erscheint. Zunächst allein - seine Frau und die Kinder lässt er schweren Herzens zurück. Über seine Flucht spricht er nicht gerne. Über Marokko, Spanien, Frankreich und Belgien sei er auf dem Landweg hierher gekommen. Schleuser hat er dafür bezahlt, dass sie ihn über die syrisch-türkische Grenze brachten.

Nach seiner Ankunft in Düsseldorf wird Assaf in einem zur Asylunterkunft umfunktionierten Altenheim untergebracht. Dort leben vor allem Syrer. Deutsch lernt Assaf dort nicht. Er geht raus zum Gemeindehaus, das ganz in der Nähe der Unterkunft ist. Assaf ist Moslem, kein Christ. Aber er fühlt sich vom offenen Angebot der Gemeinde angesprochen. Und er ist wissbegierig, will sich integrieren und Deutsch lernen. Dabei helfen ihm nach dem ersten Kennenlernen die Geisses - wie bei fast allem anderen auch. "Er ist sehr fleißig und tut alles für seine Familie", sagt Frank Geisse.

Bei mindestens 15 Behördengängen begleitet das Ehepaar Farhan Assaf, zum Sozialamt, Einwohnermeldeamt und zum Jobcenter. "Wir wussten zunächst auch nicht, wo wir überall hinmüssen", sagt Bettina Geisse, "aber wir sind in den Ämtern auf gute Berater gestoßen und haben dort Hilfestellung bekommen." Mit den Düsseldorfer Behörden ist auch Ehemann Frank Geisse überaus zufrieden: "Es wird ja immer viel geschimpft, aber ich muss die Mitarbeiter dort ausdrücklich loben." Beim Ausfüllen der Dutzenden Formulare haben die Geisses geholfen. Für jemanden ganz ohne Deutschkenntnisse sei das alles schwer zu durchschauen.

Mit der Absicht, seine Familie möglichst bald nachzuholen, hatte sich Farhan Assaf auf die Flucht in ein sicheres Land begeben. Dass es Deutschland wurde, habe sich so ergeben. Es vergeht ein gutes Jahr, bis er die Erlaubnis hatte, seine Familie nachzuholen. Damals war die Rechtslage noch eine andere. Mit einem gültigen Visum reisten die sechs Familienmitglieder aus der Türkei mit dem Flugzeug nach Deutschland. Für die Kosten musste der Familienvater aufkommen. Rund 2500 Euro benötigte er dafür - Geld, das er nicht hatte. Wieder versuchten die Geisses zu helfen. 250 Euro sammelten sie, auch der Islamische Kulturverein spendete eine größere Summe, den Rest lieh sich Assaf. Die Familie kam am 23. November sicher am Flughafen Düsseldorf an. Frank Geisse nahm sie in Empfang und brachte sie mit einem Mini-Van zur Unterkunft.

In der Türkei hat die 35-jährige Frau von Farhan Assaf wochenlang mit den Kindern im Alter von acht bis 16 Jahren ausgeharrt. Über die traumatischen Erfahrungen, die sie dort im Grenzgebiet gemacht hat, will die Frau nicht sprechen. Sie lächelt ganz leicht, schüttelt den Kopf und zieht ihre kleinste Tochter näher zu sich heran. "Meine Frau haben die Erlebnisse der Flucht am stärksten getroffen", sagt ihr Mann. Die Geisses überlegen, ob es sinnvoll wäre, sie in psychologische Behandlung zu vermitteln.

Das Gefühl, angekommen zu sein, haben die Assafs erst seit kurzem, seit sie eine eigene kleine Wohnung bezogen haben, raus sind aus der Massenunterkunft, wo sie sich zu siebt ein Zimmer teilten. Nun haben sie 55 Quadratmeter - für eine siebenköpfige Familie ist das nach hiesigen Standards nicht viel, aber für die Assafs ist es ein kleines Königreich. Sie haben dort einen Tisch, Stockbetten und Matratzen - aber noch kein Sofa. Es ist etwas spartanisch, aber nach und nach wird es wohnlicher. Die Kinder besuchen inzwischen die Schule, die Kleineren gehen in die Grundschule und die Größeren in die Realschule - sie besuchen eine Regelklasse, haben denselben Stundenplan wie die anderen Kinder, plus Sprachunterricht am Nachmittag. "Die Kinder lernen schnell", sagt Bettina Geisse. Sie zeigt auf das Hemd ihres Mannes, die achtjährige Tochter der Assafs sagt "blau", dann "rot" und "gelb". Dann zählt das Mädchen bis zehn und vertieft sich zusammen mit Bettina Geisse in ein Kinderbuch - ein Bär macht Yoga - das von deren Enkeln stammt.

Farhan Assaf möchte bald Arbeit finden. Am liebsten als Schneider. Dass Stoffe und Kleidung seine Leidenschaft sind, sieht man gleich: Das glatt gebügelte Hemd sitzt perfekt, dazu trägt er Schal und Mantel. Seine Nähmaschine musste Assaf in Syrien zurücklassen, auf der Flucht hätte sie ihn nur behindert. Umso glücklicher ist er, dass er hier eine neue bekommen hat - von einer Frau aus der Kirche. Ideal wäre für ihn ein Job ohne allzu viel Kundenverkehr, wo er sich auf das Nähen konzentrieren könnte, "denn noch spreche ich nicht gut genug Deutsch", sagt er selbstkritisch. Doch auch das soll sich ändern. Bald beginnt er zusammen mit seiner Frau einen Deutschkursus an der VHS. "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" beherrscht Farhan Assaf schon, ebenso wie "Danke". Und wenn er es ausspricht, dann richtet es sich meist an "Mama Bettina" und "Papa Frank".

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war in einer Zwischenüberschrift die Rede davon, dass Farhan Assaf Christ sei. Er ist aber natürlich Moslem. Wir haben das korrigiert.

(RP)
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