Flüchtling Manla Ali Esmail Ein Kampf um Anerkennung

Düsseldorf · Seit Ausbruch des Konflikts in Syrien im März 2011 sind weltweit knapp zehn Millionen Syrer auf der Flucht. Es ist die Hälfte der gesamten syrischen Bevölkerung. Auch Manla Ali Esmail entkam dem Terror in Syrien. Nun hofft er auf Asyl. Aber der deutsche Staat will nicht, dass Esmail bleibt.

 Manla Ali Esmail in den Räumen des Psychosozialen Zentrums in Düsseldorf.

Manla Ali Esmail in den Räumen des Psychosozialen Zentrums in Düsseldorf.

Foto: Endermann

Es brauchte acht Schwerthiebe, bis die Hand ab war. "Ich konnte nicht hinschauen, doch ich musste", sagt Manla Ali Esmail (32). Zu sehen, wie ein Mann, der gestohlen hatte, seine Hand durch diese barbarische Bestrafung verlor, machte Esmail deutlich: "Du musst raus aus diesem Land. In Syrien gibt es nichts mehr."

Esmail schaffte es. Ein Jahr später sitzt er nachmittags in den Räumen des Psychosozialen Zentrums (PSZ) an der Benrather Straße in Düsseldorf. Das PSZ ist eine Anlaufstelle für traumatisierte Flüchtlinge. Albträume halten Esmail nachts wach, er kann nicht vergessen, was er in Syrien gesehen hat.

Vom vierten Stock des Gebäudes hat man einen guten Blick auf den Carlsplatz, auf dem sich an diesem Nachmittag wie gewohnt viele Menschen tummeln. Esmail schaut hinunter aufs rege Treiben. Nicht wie in Syrien, sagt er. Es ist ein Leben, das er so nicht kannte, doch das er bereits lieben gelernt hat — unbeschwert, friedlich und vor allem: sicher. Ein Leben, das er sich und seiner Familie wünscht. Deswegen ist er nach Deutschland gekommen. Esmail hofft auf ein Familienasyl, damit er neu beginnen kann. Seine Frau und seine zwei kleinen Kinder warten im Libanon auf die gute Nachricht, dass sie kommen dürfen. Für sie hat Esmail die viermonatige Odyssee nach Deutschland auf sich genommen.

In seiner Heimat Syrien geriet er in die Fänge der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), die genährt von den Unruhen des Arabischen Frühlings in Afrika und dem Konflikt im Nahen Osten wuchs wie ein bösartiger Tumor. Sie rekrutierten Esmail unter Todesandrohung, er solle für sie ein Krankenhaus verwalten und sich als gelernter Operationstechnischer Assistent um verletzte IS-Kämpfer kümmern. Esmail half, um seine Familie zu schützen. In diesem Krankenhaus sollte einen verurteilten Dieb vor dem Tod bewahren, nachdem ihm IS-Soldaten mit einer stumpfen Machete die Hand abgehackt hatten.

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Kurz danach sagte Esmail zu seiner Frau, sie solle alles verkaufen, egal zu welchem Preis, und mit den Kindern in den Libanon zu Verwandten gehen. Er würde nach Deutschland fliehen und die Familie nachholen. Am 24. April 2014 verließ Esmail seine Heimat.

Er schlug sich zu Fuß in die Türkei durch. "Du brauchst viel Wasser und ausreichend zu Essen, wenn du so eine Flucht antrittst", sagt Esmail. Von der türkischen Küste fuhr er mit einem Boot nachts nach Griechenland. Ab Thessaloniki verharrte er 24 Stunden in einem Güterzug durch Mazedonien und Serbien, in dem je nach Tageszeit plus 60 oder minus zehn Grad herrschten.

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Immer wieder ist Esmail den Behörden entkommen, weil er Freundschaften zu Leuten knüpfte, die Flüchtlingen halfen — meist aber nur für viel Geld. In Ungarn erwischte ihn die Polizei. Er wurde in einen Käfig gesperrt und draußen der Witterung überlassen. "Ich wurde behandelt wie ein Affe", sagt Esmail. Er floh aus einem Land, in dem der IS ohne zu zögern tötet, doch über Ungarn sagt er: "Dort habe ich meine Würde verloren." Er wurde in ein Flüchtlingscamp verlegt und entkam abermals. Er bestach einen Taxifahrer, der ihn nach Österreich brachte. Am 19. August 2014 erreichte Esmail Deutschland. Über München und Dortmund kam er nach Düsseldorf. Seitdem kämpft Esmail dafür, als Flüchtling anerkannt zu werden, damit er seine Familie wiedersehen kann.

Er ist damit kein Einzelfall: Seit Ausbruch des Konflikts in Syrien im März 2011 sind weltweit knapp zehn Millionen Syrer auf der Flucht. Es ist die Hälfte der gesamten syrischen Bevölkerung. 70.000 von ihnen haben seitdem in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt. Aufgrund der unmenschlichen Geschehnisse in ihrer Heimat werden Flüchtlinge aus Syrien seit November vergangenen Jahres bevorzugt: Sie erhalten ein beschleunigtes Asylverfahren ohne Erstanhörung. Die Schutzquote für Antragsteller aus Syrien lag 2014 bei gut 90 Prozent.

Trotzdem will der deutsche Staat nicht, dass Esmail bleibt. Wegen einer Formalie, die mit seiner Flucht zu tun hat: In Ungarn zwangen ihn Polizeibeamte, seine Fingerabdrücke abzugeben — was nun zum Problem wird. Denn dem EU-Asylrecht zufolge müssen Flüchtlinge in dem EU-Land ihr Asylverfahren durchlaufen, in dem sie zum ersten Mal mit Fingerabdrücken erfasst wurden, es ist das Dublin-Verfahren.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte deshalb argumentiert, dass nicht Deutschland in dem Fall zuständig sei, sondern Ungarn. Esmail erzählte den BAMF-Beamten von den dortigen Lebensumständen, woraufhin das Verwaltungsgericht Düsseldorf ein Gutachten auf Grundlage von Berichten mehrerer Menschenrechtsorganisationen erstellte. Aber am 15. Mai urteilte das Gericht gegen Esmail. Es lägen keine "systematischen Mängel" in den Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Ungarn vor, "die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne [...] der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringen".

Mit seiner Anwältin hat Esmail Berufung eingelegt. Der Fall liegt nun beim Oberverwaltungsgericht (OVG). Für die Verhandlungen darf Esmail zunächst in Deutschland bleiben. Wenn das OVG die Klage auch abweist, besteht eventuell die Möglichkeit auf ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Noch hofft Esmail. Er will seine Familie nicht enttäuschen.

Auf seinem Smartphone hat er ein Video, das ihm seine Frau geschickt hat. Er hat es auch dem zuständigen Richter gezeigt. Darin zu sehen ist seine gerade erst vierjährige Tochter. Sie beißt sich schüchtern auf die Unterlippe und spielt mit ihren Fingern. Dann sagt sie auf Englisch: "Hey Daddy, ich möchte nach Deutschland kommen. Ich brauche meinen Papa."

(jaco)
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