Nathalie De Vries "Düsseldorfer sehnen sich nach Plätzen"

Düsseldorf · Die neue Professorin für Baukunst an der Kunstakademie über die Veränderungen in der Innenstadt und Aufgaben der Stadtentwickler.

Nathalie De Vries: "Düsseldorfer sehnen sich nach Plätzen"
Foto: dam540 Stadt Düsseldorf

Wir sind gerade von der Kunstakademie durch den Hofgarten zu den Libeskind-Bauten gelaufen. Wie gefällt Ihnen Düsseldorf?

 Nathalie de Vries (48) – hier vor dem Kö-Bogen – ist seit diesem Jahr Professorin für Baukunst an der Düsseldorfer Kunstakademie.

Nathalie de Vries (48) – hier vor dem Kö-Bogen – ist seit diesem Jahr Professorin für Baukunst an der Düsseldorfer Kunstakademie.

Foto: Andreas Bretz

de Vries Es ist eine wohltuende Stadt, durch die man sich gut zu Fuß bewegen kann. Es sind für mich und meine Bekannten auch die bekanntesten Seiten Düsseldorfs, die wir passiert haben. Düsseldorf als Stadt der Kunst und des Shoppings, wo auch meine Landsleute gerne hingehen. Es wundert mich nicht, dass auch das neueste Projekt, die Libeskind-Bauten, dem Einkaufen gewidmet ist.

Wie sehen Sie diesen Wandel?

de Vries Wo früher die Autos fuhren und die Infrastruktur die Stadt prägten, sind es jetzt die Läden, die kommerziellen Funktionen.

Wie nehmen Sie die Libeskind-Bauten wahr?

de Vries Sie haben ein angenehmes Maß, sind jedoch sehr präsent. Vom Park her wirken sie wie eine Wand. Die Fassade zum Wasser ist theatral, wie eine Kulisse gestaltet und mit Kennzeichen der Signatur Libes—kinds versehen — die Einschnitte lockern durch Bäume und Pflanzen auf. Durch ihre Größe haben sie eine städtebauliche Funktion, die schon aus der Ferne wirkt. Das Grün in der Fassade ist sicher ein Trend.

Finden Sie die Einschnitte schön?

de Vries Es ist nicht meine Architektursprache, aber sie sind ein Zeichen der Zeit und der zur Verfügung stehenden Technik, alle Seiten eines Gebäudes so nutzen können. Und das ist sicher ein Vorteil.

Jetzt wird unter dem Projektnamen Kö-Bogen II darüber diskutiert, wie es in der Innenstadt weitergehen soll, auf der Trasse des Tausendfüßlers und am Kopf der Schadowstraße sowie am Gustaf-Gründgens-Platz.

de Vries Schon die Libeskind-Bauten sind nicht Blockrandbebauung, sondern Objekte, die im Raum stehen, auffällig auch mit ihrer Wellenform zur Stadtseite. Wenn man über Düsseldorf spricht, hört man viel von schönen Straßen, aber immer wieder auch vom Carlsplatz mit seiner Aufenthaltsqualität. Das ist der einzige Platz, den viele mit Düsseldorf verbinden. Offenbar sehnen sich die Düsseldorfer nach schönen Plätzen. Deswegen ergibt sich auch beim Projekt Kö-Bogen die Frage, welche Gebäude den Gustaf-Gründgens Platz umstellen und die Verbindung herstellen zum umgebenden Raum und den Straßen. Es hat ja dazu einen Wettbewerb gegeben, und in dem wurden Fragen zu diesem Komplex gestellt. Diese Fragen sind wichtig.

Was zeichnet denn einen gelungenen Platz aus?

De Vries Es gibt viele unterschiedliche Plätze, die alle als Plätze gelten. Sie können klein und intim sein, die man plötzlich beim Lauf durch die Stadt entdeckt. Am Gründgens-Platz stehen zwei weitere sehr präsente Einzelbauten, Dreischeibenhaus und Schauspielhaus, zwei Solitäre, so hat man das in den sechziger Jahren gemacht. Die beiden schließen sich ab von der Umgebung. Wenn man den Platz gestaltet, müsste man sehen, was unten in den Gebäuden geschieht. Können sie nicht mitmachen, sich öffnen? Ich könnte mir vorstellen, dass die Düsseldorfer dort gerne einen Platz hätten, auf dem sie sich aufhalten, treffen, feiern könnten.

Daran denkt in Düsseldorf schon niemand mehr, so sehr hat man sich an die Unwirtlichkeit des Platzes gewöhnt. Vor allem die Fallwinde sorgen für Probleme.

de Vries Dagegen ließe sich etwas machen, man müsste allerdings am Hochhaus etwas anbringen, was die Winde aufhält oder schwächt.

Das dürfte wegen des Denkmalschutzes nicht gehen, die Sanierung des Hauses ist fast fertig.

de Vries Dann ist die Chance leider nicht mehr gegeben.

Die Stadtspitze will jetzt kein Gebäude mehr gleich neben dem Hochhaus errichten. Dann entstünde eine größere Fläche. Wie beurteilen Sie das?

de Vries Es droht die Gefahr einer gewissen Formlosigkeit. Die Fläche reicht von irgendwo nach nirgendwo. Vielleicht ist es möglich, einen Hybrid zu entwickeln, in einem oder in mehreren Teilen. Etwas, das nicht so undurchlässig ist wie eine klassische Blockrandbebauung, aber den Durchblick auf den Platz ermöglicht — der dennoch eingefasst würde.

Was könnte das sein?

de Vries Das kann ich jetzt nicht beantworten, man müsste sich ein paar Tage Gedanken machen — vielleicht in einem Wettbewerb? Eines weiß ich: Es wäre gut, wenn sich die Düsseldorfer noch einmal fragten, wofür sie den Raum wirklich gebrauchen möchten. Für Grün, als Marktplatz, für Weihnachtsmärkte — oder braucht man die Leere für Demonstrationen (lacht)?

Auf jeden Fall hat man für die geplanten neuen Gebäude auch an Wohnnutzung gedacht, sogar ein Wohnhochhaus soll nun auf der Tuchtinsel entstehen.

de Vries Das ist sicher gut, dann wird die Innenstadt belebt, auch abends. In Rotterdam, von wo ich stamme, plant man so seit mehr als 20 Jahren. Damals lebten nur 10 000 Menschen in der City, dann wurde auf Durchmischung gesetzt. Was immer auch geplant wurde, Wohnen musste dabei sein. Der Plan ist aufgegangen. Übrigens müssen auch immer preiswerte Wohnungen dabei sein, wie jetzt im Düsseldorfer Wohnkonzept.

Brauchen Städte heute spektakuläre Bauten, um auf sich aufmerksam zu machen?

de Vries Nein, Städte brauchen fantastische Räume, die wir durch Bauten gestalten. Wenn es eine gute Vorstellung von der Stadtentwicklung gibt, fügen sich auch die "lauten" Gebäude darin ein.

Sie bauen in Rotterdam eine Markthalle, die von mehr als 200 Wohnungen umrundet ist. Nicht sehr leise.

de Vries Wir haben da nur zwei Funktionen zusammengelegt, die Halle und das Wohnen. Und schon ergab sich der Raum, man kann durchschauen. Der Komplex steht aber im Raster, fügt sich in die Umgebung ein. Ist es nicht das, was wir am Süden lieben: die großen Arkaden, die Passagen? Gute Architektur kann, muss aber nicht verrückt sein.

Zum Abschluss verraten Sie uns bitte Ihr Lieblingsgebäude.

de Vries In Sao Paulo hat Lina Bo Bardi die "Fabricca Pompeia" verwirklicht. Sie hat Fabrikgebäude für Ateliers, Cafés, Bibliotheken transformiert und mit neuen Betontürmen kombiniert. Darin befinden sich Sportplätze. Unten läuft ein Holzsteg durchs Areal, daneben liegt Sand, und die Leute sitzen dort wie am Strand. Das ist einfallsreich, die Menschen lieben es.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN DENISA RICHTERS UND UWE-JENS RUHNAU

(RP)
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