Minderjährige Flüchtlinge in Düsseldorf Ohne Eltern in eine neue Heimat

Düsseldorf · Eine Turnhalle in Flingern wurde zur Notunterkunft für 20 jugendliche Flüchtlinge. Ein Besuch in einer Schicksalsgemeinschaft.

 Monsif Mouafeh (v.l.) erklärt Yasser und Muhammad aus Syrien deutsche Begriffe für Kleidungsstücke.

Monsif Mouafeh (v.l.) erklärt Yasser und Muhammad aus Syrien deutsche Begriffe für Kleidungsstücke.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Monsif Mouafeh möchte seinen Jugendlichen heute eigentlich beibringen, wie man sich auf Deutsch vorstellt. Aber die Lerngruppe für Fortgeschrittene hat ganz andere Fragen. Die Nacht war unruhig in der Turnhalle am Flinger Broich. Nicht nur, weil es immer unruhig ist, wenn 20 Jugendliche in einer Halle übernachten und weil manche hier schlecht zur Ruhe kommen, da sie auf ein Lebenszeichen ihrer Familien warten. Einer der Jungs hat in der vergangenen Nacht ein Video von Rechtsradikalen auf dem Handy herumgezeigt. Nun dreht sich das Gespräch um ein anderes Thema: Können wir überhaupt allein vor die Tür gehen?

Mouafeh, 37, ist Sozialpädagoge und hat sehr spontan einen neuen Job übernommen - wie alle anderen Mitarbeiter hier auch. Er gehört zu den Betreuern in der Wohngruppe für männliche, unbegleitet eingereiste minderjährige Flüchtlinge am Flinger Broich. Vor wenigen Monaten wäre es noch undenkbar gewesen, dass in Düsseldorf mal Jugendliche in Obhut eines Amts in einer Turnhalle wohnen. Das ist inzwischen anders. Das Jugendamt ist froh, dass die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und andere Verbände schnell Notunterkünfte eingerichtet haben.

Denn immer mehr ohne Begleitung eingereiste Jugendliche kommen in die Stadt, derzeit sind es mehr als 300. Die Zahl der Plätze reicht nicht, unter Hochdruck werden weitere geschaffen. "Wir mussten improvisieren", sagt Detlef Weber, Hauptabteilungsleiter bei der Awo-Tochter Familienglobus. Nicht nur an Raum fehlt es, das Personal wird knapp. Wer eine pädagogische Ausbildung hat und über Fremdsprachenkenntnisse verfügt, kann sich den Job gerade aussuchen.

 Die Jugendlichen wohnen in der Turnhalle der Awo jeweils zu zweit in einem Zelt-Pavillon.

Die Jugendlichen wohnen in der Turnhalle der Awo jeweils zu zweit in einem Zelt-Pavillon.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

In den Tagen vor den Herbstferien sind die zehn Pavillons in der Turnhalle des Berufsbildungszentrums aufgebaut worden, kurz danach kamen schon die ersten Jugendlichen. Erst zehn Afghanen, fünf Tage später sieben Syrer und zwei Somalis, zwei weitere Tage später noch einer aus dem Irak und einer aus Guinea. Monsif Mouafeh erzählt, dass die Afghanen überhaupt nicht begeistert waren, als die Syrer dazustießen. Auf der Flucht hat man schlechte Erfahrungen miteinander gemacht. Der Sozialpädagoge hat ihnen erklärt, dass die Flucht nun vorbei ist. "Ihr seid jetzt eine Schicksalsgemeinschaft."

Die eine Aufgabe für die Mitarbeiter ist es, in der Turnhalle einen ganz normalen Alltag zu gestalten. 8.30 Uhr ist Weckzeit, 23 Uhr Nachtruhe. Die Jugendlichen decken den Tisch, man isst gemeinsam. Es gibt Deutsch-Unterricht in zwei Gruppen. In der bei Monsif Mouafeh sind die, denen das Lernen leichter fällt. Rund um die Tischtennisplatte, die als Tisch herhält, sitzen unter anderem die Syrer, in deren Heimat es bis vor wenigen Jahren ein gutes Bildungssystem gab. In der anderen Gruppe unterrichtet ein Kollege zum Beispiel die Afghanen, denen Deutsch lernen oft schwerer fällt.

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Foto: dpa, fg jai

Auf dem Programm steht zudem viel Sport - auch, um einen Lagerkoller zu vermeiden. In der kommenden Woche wird es erstmals einen Ausflug ins Schwimmbad geben. Ein paar der Jugendlichen dürfen eine Straßenecke weiter bei der Fortuna mitspielen. Ali, 16, hat dort großen Eindruck hinterlassen, erzählen die Mitarbeiter begeistert.

Die andere Aufgabe ist es, mit Problemen umzugehen, die überhaupt nicht normal sind. Ein Jugendlicher hat Verletzungen durch einen Bombenangriff, ein Psychotherapeut betreut ihn. Viele haben körperliche Probleme. Da es immer wieder Notfälle gibt, ist nachts eine Aufsicht da. Alle haben eine lange Flucht hinter sich, viele Dramatisches erlebt. Nun soll ein anderes Leben beginnen.

Die Schicksalsgemeinschaft am Flinger Broich wird nicht von Dauer sein. Nach spätestens drei Monaten werden die Jugendlichen aus der Erstaufnahme weiter verteilt, auch in andere Städte. Wenn sie volljährig sind, entscheidet sich, ob sie in Deutschland bleiben dürfen. Und wenn Jugendamt und Wohlfahrtsverbände in Düsseldorf auf die Lage reagiert haben, soll es keine Unterkünfte in Turnhallen mehr geben.

Die Lerngruppe von Monsif Mouafeh hat ihre Pläne für heute geändert, wegen des komischen Videos. Statt Sätze wie "Wie geht es dir?" zu trainieren, will Mouafeh gleich einen Ausflug in die Innenstadt anbieten, vielleicht geht man irgendwo eine Cola trinken. Mouafeh will zeigen: Ihr braucht in Deutschland keine Angst zu haben.

(arl)
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