Proteste in der Landeshauptstadt Düsseldorf 21

Düsseldorf · Ähnlich wie in Stuttgart haben auch in der NRW-Landeshauptstadt Bürgerbewegungen und -initiativen das politische Geschehen in diesem Jahr bestimmt. Das Besondere in Düsseldorf: Die Bürger protestieren nicht nur, sie entwickeln Konzepte, die die politischen Profis überzeugen.

 Die Bürger an der Franklinstraße überzeugten Oberbürgermeister Dirk Elbers, dort keinen Schulneubau zu errichten.

Die Bürger an der Franklinstraße überzeugten Oberbürgermeister Dirk Elbers, dort keinen Schulneubau zu errichten.

Foto: Andreas Bretz

Die Sitzungen des Düsseldorfer Ordnungs- und Verkehrsausschusses gelten nicht gerade als Publikumsmagnet. Ein, zwei, drei Zuschauer verlieren sich dort normalerweise in den Sitzreihen. Mitte November allerdings musste das Rathaus zusätzliche Stühle besorgen, um allen Interessenten einen Platz anzubieten. Mit Pappschildern waren zahlreiche Bürger erschienen, um zu erklären, dass sie keine vierspurige Durchgangsstraße, die die umliegenden Autobahnen verbindet ("Osttagente"), akzeptieren.

Die Gegner der "Osttangente" waren das letzte Beispiel in einem Jahr, in dem die Landeshauptstadt seine Bürger politisch aktiv und präsent wie lange nicht mehr erlebt hat. In Nachbarschaftsintiativen oder Bewegungen für ein Thema haben sich die Bürger organisiert, wohl vernehmliche Kritik geäußert und Alternativen erarbeitet. Drei Beispiele:

Die Franklinstraße

Auf dem Gelände der Volkshochschule an der Franklinstraße in Pempelfort sollte ein fünfgeschossiger Neubau für eine Abendrealschule entstehen. Die Initiative "Pro Franklinstraße" erklärte, dass dadurch ein denkmalgeschützter Gebäudekomplex aus dem frühen 20. Jahrhundert und 100 Jahre alte Bäume zerstört würden und es in der ohnehin dichtbebauten Franklinstraße noch enger würde. Mit einer Unterschriftensammlung und einem Termin des Beschwerdeausschusses vor Ort brachten die Bürger Bewegung in die vermeintlich beschlossene Sache und überzeugten schließlich Oberbürgermeister Dirk Elbers. Der hatte zunächst noch erklärt: "Wenn wir bei jeder Baulücke so einen Aufstand machen, dann wird bald nirgendwo in der Stadt mehr etwas passieren", dann aber das Vorhaben gestoppt. "Pro Franklinstraße" präsentierte Ende November ein Konzept, wie der Vorhof der Volkshochschule als Park gestaltet werden kann, erhielt dafür viel Lob — aber noch kein Geld.

Die Fleher Brücke

Die Bewohner der Ortsteile rund um die A46-Brücke zwischen Düsseldorf und Neuss kämpfen seit den 70er Jahren für einen besseren Schutz gegen Verkehrslärm. Aber erst 2010 sind sie den entscheidenden Schritt vorwärts gekommen. Nachdem auch die neue Landesregierung wie alle ihre Vorgänger erklärt hatte, dass eine Lärmschutzwand statisch nicht möglich und zudem nicht im Planfeststellungsbeschluss enthalten sei, versorgten die Bürger das Verkehrsministerium mit Akten, die sie in langer Recherchearbeit zusammengetragen hatten und die das Gegenteil belegen. Minister Harry Voigtsberger (SPD) gab daraufhin ein unabhängiges Gutachten in Auftrag und nach dem positiven Ergebnis den Bau einer Lärmschutzwand im Jahr 2011. Nun hoffen die Bürger, dass auch ihre Argumente für ein dauerhaftes Tempolimit von 80 km/h und Radaranlagen auf der Brücke gehört werden.

Arena-Stehplätze

Der Wunsch, Stehplätze in der Düsseldorfer Esprit-Arena zu errichten, klang zunächst nach überholter Romantik aus einer Zeit, als Fußball und Event einander noch ausschlossen. Die Fan-Initiative "Stonn op!" hat gezeigt, dass viel mehr dahinter steckt. Sie wies Dreierlei nach: In einer Arena mit Stehplätzen entstehen weniger Schäden, weil Gästefans dann nicht mehr wie bisher Sitzreihen aus der Verankerung reißen und in den Innenraum werfen. Dank Stehplätzen wächst die Kapazität, und damit steigen die Einnahmen. Außerdem ermittelten die Fans, dass die Arena aus Sicherheitsgründen ohnehin ein Umbau benötigt, so dass die Kosten für die Stehplätze auch noch sinken. Mit dieser Recherche setzten sich die Fortuna-Anhänger auch gegen starke Gegner eines Umbaus durch, die anscheinend willkürlich Umbaukosten in zweistelliger Millionenkosten in die Welt setzten und damit lange über das entscheidende Gegenargument verfügten. "Stonn op!" erreichte im Rat einen fraktionsübergreifenden Beschluss, dass die Stadt bis zu 2,5 Millionen Euro für Stehplätze investiert. Am 30. August beim Heimspiel gegen Hertha BSC Berlin sangen die Fans erstmals nicht mehr "Steh auf, wenn du Fortune bist".

APA ist die neue APO

Die Anliegen unterschieden sich stark, dennoch haben die Initiativen viel gemeinsam: Die Mitglieder stammen aus der bürgerlichen Mittelschicht, ihr Durchschnittsalter liegt in der Regel über 40 Jahre alt, und sie schließen sich keiner politischen Richtung an. Darüber hinaus hat sich in der Landeshauptstadt ein besonderes Merkmal herausgebildet, das der Sprecher der Fleher Bürger-Interessengemeinschaft, Jürgen Borrmann, mit "Außerparlamentarische Ansprechpartner" beschreibt. APA ist die neue APO. Die Düsseldorfer Bürger äußern nicht nur ihren Protest, sie liefern den Entscheidern maßgebliche Informationen.

Das Phänomen "Außerparlamentarische Ansprechpartner" muss dabei in zwei Teilen betrachtet werden: ansprechen und Partner sein. Beim Ansprechen lernen die Betroffenen, dass ein gutes Anliegen alleine nicht genügt. So nachvollziehbar es klingt, dass Anwohner einer Brücke weniger als 70 Dezibel Verkehrslärm ertragen oder ein ehrwürdiges Gebäudeensemble bewahren möchten, so viel Unterstützung sie vor Ort in den Bezirksvertretungen dafür auch erfahren, dies reicht nicht, um im Rat und in der Verwaltung ein Umdenken zu bewirken. Die Bürger müssen sich tief in die Themen einarbeiten, oft 50 und mehr Stunden pro Woche, um sich ein Fachwissen zu erarbeiten, das es so im Rathaus nicht gibt.

Und selbst damit ist der Erfolg noch keineswegs sicher. Denn als zweite Lektion lernen die Bürger-Initiativen den Umgang mit ihren Partnern. Die einzelnen Fraktionen haben ein bestimmtes Bild von sich und ihren Grundsätzen, innerhalb der Fraktionen haben die Mitglieder ein festes Bild von sich und ihrer Bedeutung. All dem muss Rechnung getragen werden. Ein Anliegen darf nicht den Eindruck vermitteln, es entspreche einer politischen Farbe, denn dann ist es verloren, weil die anderen Farben (Fraktionen) ihm niemals zustimmen. Ein Anliegen muss jeweils den Grundsätzen der angesprochenen Fraktion (finanzielle Interessen hier, soziale oder ökologische Interessen dort) entsprechen. Und ein Anliegen muss bei den entscheidenden Fraktionsmitgliedern vorgetragen werden, weil — auch das lehrt die Erfahrung — einzelne mutige Verfechter aus den hinteren Reihen des Stadtrats mit wenigen, aber eindeutigen Zwiegesprächen wieder von ihrem Zuspruch abgebracht werden können.

Fazit

Während bundesweit über Bürgerbegehren und -entscheide diskutiert wird, gehen die Düsseldorfer schon einen Schritt weiter. Sie haben bei den Abstimmungen zum Stadtwerke-Verkauf oder Kö-Bogen gelernt, dass sie zwar über die zentrale Frage entscheiden, dass sie aber nicht im Detail mitbestimmen oder ihre Argumente vorbringen können. Deshalb haben sie sich zu "Außerparlamentarischen Ansprechpartnern" entwickelt, und das mit Vorbildwirkung. Der Erfolg der genannten Initiativen ermutigt weitere Bürger, viel Arbeit für ein Anliegen auf sich zu nehmen — und mit dem Ergebnis in Ausschüssen für volle Sitzreihen zu sorgen.

(RP)
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