Düsseldorf Die "Omma" und ihr Tattoo

Düsseldorf · Renate Jüdermann ließ sich mit 70 Jahren die Anfangsbuchstaben der Namen ihrer Töchter auf den Unterarm stechen.

 Modische Stilsicherheit mit Wagemut und wilden Kombinationen waren schon immer ihr Markenzeichen: Mit 70 Jahren hat sich Renate Jüdermann nun das erste Tattoo gegönnt - auf dem Unterarm.

Modische Stilsicherheit mit Wagemut und wilden Kombinationen waren schon immer ihr Markenzeichen: Mit 70 Jahren hat sich Renate Jüdermann nun das erste Tattoo gegönnt - auf dem Unterarm.

Foto: Hans-Jürgen bauer

Zum Treffen im Café Rekord in Flingern erscheint Renate Jüdermann nicht allein. "Ich habe meine Granate mitgebracht", sagt sie. Die Granate ist ein kniehoher Mischling mit grauem Fell, sehr flauschig und sehr ungestüm. Er hört auf den Namen Juri. Juris Frauchen sieht von der Hüfte an abwärts aus wie ein Skinhead: Die "Omma", wie sie sich selber nennt, trägt klobige Doc Martens zu hochgekrempelten Jeans. Die Sieben-Euro-Beinkleiner hat sie mit einer weißen Bluse mit Zebras und einem dunklen Strickjäckchen kombiniert. "Ein Outfit braucht Brüche", so ", so lautet eine der Jüdermannschen Fashion-Weisheiten.

Sie bestellt einen frischen Minztee, kippt reichlich Zucker rein. Der Grund unseres Treffens, ihr Tattoo, ist zunächst nicht zu erkennen. Auf Nachfrage streift sie den Ärmel ihrer Zebra-Bluse hoch: Auf der Innenfläche des linken Unterarms prangt eine Kombination aus roter Blüte und den ineinandergreifenden Lettern A, L, P, M und noch mal A. Die Buchstaben stehen für ihre fünf Töchter: Alexandra, Lena, Peuni, Mara und Anna. "Selber gemacht habe ich allerdings nur Alex", erklärt Jüdermann. "Von Geburten hatte ich nach der einen nämlich die Nase voll." Die restlichen vier hat sie adoptiert.

Als der 70. Geburtstag der Mutter näherrückte, fragten die Töchter nach Wünschen. Erst sei ihr nichts eingefallen, so Jüdermann: "Ich hatte keine Wünsche." Eines Morgens war die Idee dann plötzlich da. Ein Tattoo. Nie zuvor im Leben hatte sie auch nur mit dem Gedanken gespielt. Im Gegenteil. Als zwei ihrer Töchter sich vor einigen Jahren tätowieren ließen, prophezeite sie noch, dass ihnen das mal leidtun werde. Die Rache der Töchter fiel also entsprechend aus, als Jüdermann sie von der Idee mit dem Hautbild in Kenntnis setzte. In ihrer Ablehnung waren sich alle fünf einig. Die Mutter sei viel zu alt für ein Tattoo. Geld zusammengelegt haben sie dann aber trotzdem. Nun galt es, ein Motiv zu finden. Jüdermann überlegte. Picasso-Taube? Nein. Schmetterling? Nein. Arschgeweih? Oh Gott, nein! "Es sollte etwas mit mir zu tun haben." So kam sie auf die Anfangsbuchstaben ihrer Töchter, die sie, und jetzt wird es wirklich seltsam, zunächst zu dem Wort "PALMA" kombinieren lassen wollte. Glücklicherweise hatte die Tätowiererin was dagegen.

Auf die war Jüdermann übers Internet gekommen. Entgegen dem Rat einer Tochter ("Auf der Oststraße ist ein guter Tätowierer") entschied sich die Wild-Entschlossene für ein Studio in Ratingen-Tiefenbroich. Aus rein pragmatischen Gründen. "In Tiefenbroich kann man ja viel besser parken als an der Ostraße." Das Studio erwies sich auch abgesehen von der Parkplatzsituation als Glücksgriff. Picobello sauber wie ein OP. Mit einer Tätowiererin, die nicht unbedingt jeden Kundenwunsch erfüllt. Die PALMA-Idee war dank ihr jedenfalls schnell vom Tisch, am Rechner entstand innerhalb weniger Minuten der Gegenvorschlag. Zwei Wochen Bedenkzeit blieben Jüdermann bis zum Termin, dann wurde es ernst.

Eine Stunde dauerte die Prozedur, die sich in etwa so anfühlte, als kneife einen jemand, "aber eben permanent". Natürlich habe das wehgetan, "aber nicht so, dass ich schreien musste". Sie habe nicht hingeschaut, versucht, an etwas anderes zu denken. Als das Werk auf ihrem Unterarm schließlich vollendet war, war die Begeisterung groß. Und musste mit denen, die sie hatte verewigen lassen, geteilt werden. Die frisch Tätowierte machte ein Foto und schickte es via Whats- App an Alexandra, Mara, Anna, Peuni und Lara. Deren Ablehnung war nunmehr wie weggeblasen: "Sie waren sehr gerührt."

Auch jenseits des engsten Familienkreises fielen die Reaktionen nur positiv aus. Egal ob im Senioren-Englisch-Kurs, den Jüdermann leitet, beim 50-jährigen Abitreffen oder im Second-Hand-Laden "Lieblingsstücke", in dem sie aushilft. In Letzterem ist die 70-Jährige für ihre absolut ehrliche Beratung ebenso bekannt wie für ihren Mutterwitz und die beneidenswerte Stilsicherheit.

Die hatte sie nach eigenen Angaben schon früh, mit 14, 15. Damals besuchte sie eine Nonnenschule in Eschweiler und trug bevorzugt weiße Anstreicher-Latzhosen. Später folgten viele modisch unterschiedliche Phasen. Eine Zeit lang ging sie komplett in Oilily. Bei der Kommunion ihres Patenkindes erschien sie in einer Kombination aus Leoparden-Hose und Samt-Blazer mit Rosenmuster. Allein die Schuhe waren immer klobig. "Ein Ex-Freund sagte mal zu mir: Du bist ja immer sehr gut gekleidet, aber an den Füßen siehst du aus wie ein Bauerntrampel." Natürlich hat Jüdermann nichts geändert. Nur die Beziehung war irgendwann vorbei.

(RP)
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