Serie Düsseldorfer Geschichte(n) Die Insel

Düsseldorf · Im Weltkunstzimmer in Flingern-Süd arbeiten Künstler und Unternehmer. Es ist ein Ort, den es eigentlich nicht geben dürfte.

 Wolfgang Schäfer verwaltet als Vorstand der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung das Weltkunstzimmer. Der Turm im Hintergrund das Wahrzeichen des Geländes.

Wolfgang Schäfer verwaltet als Vorstand der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung das Weltkunstzimmer. Der Turm im Hintergrund das Wahrzeichen des Geländes.

Foto: Andreas Endermann

Der schönste Blick ist versperrt von einer abgesackten Deckenverkleidung. Wolfgang Schäfer steht in einem Raum im Dachgeschoss und möchte seinen Besuchern die Aussicht über das ehemalige Industrie-Areal an der Ronsdorfer Straße zeigen. Doch das Fenster klemmt wegen herabhängender Holzlatten, nur mit viel Kraft lässt es sich öffnen. Der Raum, aus dem sich dieser Ausblick bietet, ist weit davon entfernt, auch nur in irgendeiner Form repräsentabel zu sein. Dass eines der wohl schönsten Zimmer des Areals dringend renovierungsbedürftig ist, erscheint an diesem Ort nicht als Widerspruch, es ist beinahe logisch. Denn es handelt sich um das Weltkunstzimmer. Das Unperfekte und Unfertige ist hier Teil des Programms. Es ist ein Ort, den es nach den geltenden Gesetzmäßigkeiten gar nicht geben dürfte und der soweit von gängigen Düsseldorf-Klischees entfernt ist wie Urdenbach von Angermund.

Bevor Künstler und Kreativ-Unternehmen auf das Gelände zogen, wurde dort Brot gebacken.

Bevor Künstler und Kreativ-Unternehmen auf das Gelände zogen, wurde dort Brot gebacken.

Foto: Stadtarchiv

Wolfgang Schäfer ist der Hausherr dieses Konglomerats aus Kunsträumen und Büros. Der 61-Jährige ist der Vorstand der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung, der das Areal des Weltkunstzimmers gehört. Mit seinem Team organisiert er Ausstellungen, Festivals und Konzerte und arbeitet daran, das Projekt bekannter zu machen. Dabei ist das Weltkunstzimmer schon seit Jahren ein Anlaufpunkt für Kreative in der Stadt: Auf 10.000 Quadratmetern Mietfläche proben Bands, stellen Künstler aus und arbeiten Unternehmen. Alleine 65 Proberäume gibt es in den Kellern des 1910 erbauten Industriekomplexes. Die Broilers proben dort, auch der für einen Oscar nominierte Volker Bertelmann alias Hauschka hat dort sein Studio. Eines der größten deutschen Start-ups Trivago hat einst auf dem Gelände angefangen. Heute hat die Amazon-Tochter Abebooks auf dem Gelände ihren Sitz, - Mountain View an der Grenze von Flingern-Süd zu Lierenfeld.

 Das Gelände wurde 1910 fertiggestellt und beheimatete den "Consumverein freies Rheinland". Seit 1997 steht es unter Denkmalschutz.

Das Gelände wurde 1910 fertiggestellt und beheimatete den "Consumverein freies Rheinland". Seit 1997 steht es unter Denkmalschutz.

Foto: HPZ-Stiftung

Ohne Hans Peter Zimmer würde es dieses besondere Gelände in seiner heutigen Form nicht geben. Der Düsseldorfer war ein Mann mit einer in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Vita: Der gelernte Elektriker hatte es als Geschäftsmann zu Wohlstand gebracht, war aber gleichzeitig auch Organisator und Handwerker. Aus Mineralien wie Marmor und Onyx schuf er Wohnzimmeraccessoires und sammelte Kunst sowie allerhand Dinge, die ihm auch nur im entferntesten nützlich erschienen.

In den 1970er Jahren bot sich Zimmer die Möglichkeit, das Gelände an der Ronsdorfer Straße, das zuvor als Backfabrik für den "Consumverein freies Rheinland" gedient hatte und abgerissen werden sollte, zu kaufen. Er schlug zu. Zimmer hatte die Idee, einen Freiraum zu schaffen, in dem Menschen kreativ sein können. Er bewahrte die ursprüngliche Gestaltung der alten Fabrik, entfernte im Inneren der Gebäude allerdings die meisten Industriemaschinen, um Platz zu gewinnen.

Die Wege von Hans Peter Zimmer und Wolfgang Schäfer laufen im Jahr 1987 zusammen. Schäfer wechselt gemeinsam mit anderen Künstlern vom heutigen Medienhafen, der sich zu dieser Zeit durch den Umzug des Landtags an den Rhein stark veränderte, auf das Gelände an der Ronsdorfer Straße. Zimmer schätzte es, sich mit kreativen Menschen zu umgeben, erinnert sich Schäfer: "Er arbeitete nachts, genau wie wir Künstler."

Schäfer, der seit dieser Zeit in unterschiedlichen Unterkünften auf dem Gelände lebt, wurde ab den 1980er Jahren Zeuge, wie Zimmer seinen Traum Stück für Stück verwirklichte. Zimmer skizzierte die Architekturpläne und vermietete Proberäume. Auch andere Teile des Komplexes konnten für Feiern genutzt werden. "Hans Peter Zimmer war Anfang der 90er Jahre ein Pionier in der Konzeption der Veranstaltungsraum-Vermietung", sagt Schäfer.

Obwohl Zimmer die vermeintlich lästige Organisation auch hätte delegieren können, übernahm er sie selbst. 1997 wurde der Komplex unter Denkmalschutz gestellt. 2004 wurde ein Raum zur temporären Vergabe an Einzelkünstler geschaffen - der Startschuss zur heutigen Funktion als Weltkunstzimmer.

Anfang 2008 erkrankte Hans Peter Zimmer an Krebs. Er starb im November 2009. Damit das Weltkunstzimmer, dass damals unter dem Namen "Con-Sum" bekannt war, weiter existieren konnte, verfügte Zimmer die Gründung der Stiftung, die seinen Namen trägt. Am 15. September feiert sie ihr fünfjähriges Bestehen. Rund zehn Prozent des Gesamtumsatzes, der sich unter anderem aus den Mieteinkünften für die Probe- und Gewerberäume zusammensetzt, wird für das Kulturprogramm des Weltkunstzimmers und die Instandhaltung der Gebäude aufgewendet. Zu den Veranstaltungen gehört zum Beispiel das am 14. Juli beginnende Asphalt-Festival sowie die Konzert-Reihe "Musikzimmer".

Mit seiner Ausrichtung wirkt das Weltkunstzimmer wie eine Insel. Die gegenwärtigen Gesetzmäßigkeiten der wachsenden Großstadt sehen vor, dass Gewerbe-Areale abgerissen werden, um Platz für große Wohnprojekte zu machen. Sehr wahrscheinlich hätte auch Hans Peter Zimmer seinerzeit damit viel Geld verdienen können. Er tat es aber nicht - warum?

Zimmer sei einfach ein richtiger Typ gewesen, der abgesehen von einem großen Auto keinen besonderen Bezug zu materiellen Dingen gehabt habe, sagt Schäfer. Zimmer sei sehr freiheitsliebend gewesen. "Er hatte einen starken Drang zur Selbstverwirklichung." In einem von der Stiftung veröffentlichtem Porträt heißt es über Zimmer: "Er war ein zielstrebiger, gut organisierter Geschäftsmann, dem es Spaß machte, etwas wachsen zu sehen. Auf der anderen Seite sammelte er nicht, um Besitz zu horten und Werte anzuhäufen."

Zimmers Einfluss ist auch heute noch spürbar. An vielen Stellen in den Gebäuden finden sich Accessoires, die er einst geschaffen, oder Werke, die er gesammelt hat. Das wohl kurioseste Stück ist eine Bar aus einem halbierten US-Auto, einem Dodge. Ein Teil der Sammlung Zimmers waren Werke, die er anstelle der Miete von Künstlern bekommen hat, die auf seinem Gelände wohnten und arbeiteten. Auch von Schäfer besaß er mindestens 60 Arbeiten.

In der Zukunft würde Stiftungs-Vorstand Wolfgang Schäfer gerne das Weltkunstzimmer in der Stadt bekannter machen. Obwohl nur drei Stationen vom Hauptbahnhof entfernt, sind es doch eher die Eingeweihten, die den Weg an die Ronsdorfer Straße finden. Das Weltkunstzimmer sieht Schäfer als Ort, der jungen, talentierten Künstlern eine Plattform bieten soll. "Bei uns sind die Otto Dix der Zukunft zu finden", sagt Schäfer in Anspielung auf die kürzlich geendete Schau im K20. Auch eine intensivere Kooperation mit der Stadt, von der die Einrichtung finanzielle Förderung bekommt, hält er für denkbar. An Platz für weitere Projekte fehlt es auf jeden Fall nicht.

Nächste Veranstaltungen Im Weltkunstzimmer an der Ronsdorfer Straße 77a findet heute ein Folk-Festival statt. Ab 19 Uhr spielen North Alone, One Eye Open, Arrows und Matti Rousse. Der Eintritt beträgt acht Euro. Von 14. bis 23 Juli ist das Gelände dann der Ort des Aphalt-Festivals.

(RP)
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