Serie Heimatreport in Düsseldorf Die Geheimnisse der Carlstadt

Düsseldorf · Unser Autor hat sich in dem Stadtteil umgesehen. Dabei hat er sich ein Haus von innen angeschaut, in das man eigentlich nicht hinein darf.

 In der Nähe des Wirtschaftsministeriums zwischen Stadtmuseum und Horionplatz gibt es leerstehende Gebäude.

In der Nähe des Wirtschaftsministeriums zwischen Stadtmuseum und Horionplatz gibt es leerstehende Gebäude.

Foto: Andreas Bretz

Auf der Fensterbank hinter dem Schaufenster standen skurrile Dinge, bei deren Anblick ich sofort stehenblieb: ein uralter Mini-Röhrenfernseher. Ein mindestens ebenso alter Diaprojektor. Ein süßer Plüsch-Beagle. Ich dachte, es handele sich um eine Galerie, und drückte die Klinke am Eingang. Leider war die Tür zu. Ein Mann erschien aus den Tiefen der Galerie, schloss auf und sagte, von wegen Galerie, das sei ein Büro. Es gehöre einer Filmproduktion. Ich lobte, wie schön die Räume seien. Mitten in der Carlstadt, Citadellstraße, schöner geht's ja kaum, oder? Er nickte und war so nett, mir das Büro zu zeigen - es dehnte sich auf labyrinthische Weise nach hinten aus. "Um die Ecke wohnt Frau Cloppenburg", sagte der Mann. Ich: "DIE Cloppenburg?" Er: "Ja. Reiche Gegend hier."

Als ich wieder draußen war und auf das Klingelschild eines Nachbarhauses schaute, sah ich zuoberst "Biograph". Ich weiß, ich weiß, das ist der Name eines Verlags. Trotzdem fand ich Gefallen an dem Gedanken, dass die Leute, die in diesem Viertel leben, so unfassbar vermögend und wichtig sind, dass sie schon zu Lebzeiten ihren Biographen im Haus wohnen haben.

Die Carlstadt: einer der reichsten Stadtteile Düsseldorfs. Nebenbei auch der kleinste. Linealgerade Straßen, Kopfsteinpflaster und prächtige alte Häuser. Heinrich Heine ging in der Carlstadt zur Schule - im Maxhaus. Das Stadtmuseum ist hier zu finden. Der Stadtteil ist nicht nur reich, er ist auch reich an Geschichte. Und ich will dieses Bild beim besten Willen nicht korrigieren. Es wäre anmaßend, so etwas zu tun. Dennoch möchte ich dezent darauf hinweisen, dass selbst eine Carlstadt kein Denkmal ist, das alle Zeiten überdauern wird. Ich drücke mich deshalb so verklausuliert aus, weil ich es gut meine mit der Carlstadt, ich meine es wirklich gut. Und weil mich mehrere Menschen baten, ihr aus der Patsche zu helfen.

Es ging los im Stadtmuseum. Dort gibt es ein Café mit dem Namen "Ey". Der Name bezieht sich auf "Mutter Ey", Johanna Ey, die Galeristin und Kunstförderin. Seit 2009 ist das Café geschlossen. Seit fast zehn Jahren! Ein Café kann kaum schöner liegen, direkt am Wasser, an der Düssel, dem Spee'schen Graben. Wie kann ein Café in einer solchen Triple-A-Lage so lange Zeit brachliegen? Ich richtete die Frage an den Mann an der Kasse des Stadtmuseums. Seine Antwort (es lag etwas Flehentliches in seiner Stimme, aber vielleicht bildete ich mir das ein): "Wollen Sie es betreiben?" Ich: "Warum nicht?" Er: "Sie brauchen eine sechsstellige Summe." Ich: "Kann ich es kurz angucken?" Er winkte mich durch. Mir kamen fast die Tränen, als ich das Ey von innen sah. Eine Originalzeichnung von Loriot - unscheinbar über dem Eingang zum Klo. Fast noch schöner der Zettel an der Terrassentür: "Die Terrasse bitte nur im Notfall betreten". Als ob das Ey nicht längst ein Notfall wäre. Zumal, seit es im Andreas Quartier ein brandneues, schickes Mutter-Ey-Café gibt, das bestens zu funktionieren scheint. Ob das eine Konkurrenz zum Museums-Ey sei?, fragte ich den Mann an der Kasse. Er (ich fand, es lag Trotz in seiner Stimme): "Überhaupt nicht!"

Das Ey war nur der Anfang. Kinder, was ist mit der Carlstadt los? Kurz darauf kam es zu einer der seltsamsten Begegnungen und Unterhaltungen, die ich jemals hatte. Ein paar Meter weiter, neben dem Hochhaus des Wirtschaftsministeriums, wo früher Vodafone zu Hause war und noch früher Mannesmann, steht ein kapitales Gebäude leer. Es ist, wie das Mannesmann-Hochhaus, ein Werk des bekannten Düsseldorfer Architekten Paul Schneider-Esleben, Vater des Musikers Florian Schneider, der die noch bekanntere Band Kraftwerk mitgründete, der er 2009 auf Nimmerwiedersehen sagte. Seitdem ist Schneider raus aus Kraftwerk. Und auch aus dem Haus gleich neben dem Ministerium sind alle raus. Bis Ende 2017 waren dort Flüchtlinge untergebracht, nun steht es leer. Ich fragte zwei Passanten, was es mit dem verwaisten Prachtgebäude auf sich habe. Wenn das Café Ey mit einer Triple-A-Lage aufwartet, dann liegt das Schneider-Esleben-Haus in einer Quadruple-, wenn nicht Quintuple- oder sogar Sextuple-A-Lage. Der eine der beiden Männer sagte: "Wollen Sie es kaufen?" Ich, wieder reflexhaft: "Warum nicht?" Dann sah ich es mir von innen an.

Man kann sich das Haus eigentlich nicht von innen ansehen. Der Haupteingang an der Berger Allee ist verriegelt. Auf der gegenüberliegenden Seite, am Mannesmannufer, fand ich eine schwere Doppeltür, deren linke Hälfte sich erstaunlicherweise öffnen ließ. Ich ging hinein wie in eine Kathedrale, andächtig, respektvoll, und lief auf einen Tresen zu, hinter dem ein Mann hockte. Security. Er sah mich stirnrunzelnd an. Ich: "Nur eine Frage. Steht das Haus wirklich leer?" Er druckste etwas herum und zischte: "Ja." Ich: "Aber was machen Sie dann hier? Sie könnten abschließen und nach Hause gehen." Der Mann, gedrungene Erscheinung, kantiger, kurzrasierter Schädel, runde Schultern, sah mich mit finsterer Miene an. Er stand auf und stemmte die Arme in die Hüften. Ich hatte den Eindruck, im geheimen Hauptquartier eines James-Bond-Oberschurken zu stehen, irgendwo im Ostblock, wo seit 1971 die Zeit stehen geblieben war. Aus einem Nachbarraum traten weitere Männer mit finsteren Mienen hervor - ein Schwarm von Securitypersonal, er quoll förmlich hervor.

Ich sagte dem Mann, ich sei bloß Journalist, und wiederholte meine Frage. Er, grimmig: "BLB." Ich: "Wie jetzt, BLB?" Er, noch grimmiger: "Wenn Sie wirklich Journalist sind, haben Sie in zwei Sekunden raus, was das ist." Ich, übertrieben selbstsicher: "Normal brauche ich für so was nur eine. Aber wenn ich es sowieso rauskriege, können Sie es mir auch gleich sagen, oder?" Er: "Sie haben drei Fragen gestellt. Zwei zu viel. Ich sage nichts mehr." BLB - so heißt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW. Allerdings auch die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe. Oder redete der Mann in einem Geheimcode mit mir? BLB wie: Bleib lieber bedächtig? Bin luxuriös bewaffnet? Jedenfalls: Es ist etwas im Gange. Eine gewaltige Leere breitet sich in der Carlstadt aus.

Sie hat das Café Ey in Beschlag genommen und das Schneider-Esleben-Haus (der Bau daneben ist ebenfalls leer). Als ich in der Bäckergasse ein Haus bestaunte und, der Eingang stand offen, die Etagen hochstiefelte, sah ich, dass es offenbar komplett geräumt wird. Baut sich der James-Bond-Oberschurke eine verzweigte Kommandozentrale? Bin ich der Gegenspieler, bin ich der Gute? Werde ich das Café Ey betreiben? Und das Esleben-Haus kaufen? Das Haus in der Bäckergasse eher nicht. Für meinen Geschmack ist es schon einen Tick zu weit weg vom Rhein.

(RP)
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