Tiernotruf in Düsseldorf Die Ein-Mann-Tierrettung

Düsseldorf · Stefan Bröckling hilft Vögeln und Katzen. Den ganzen Tag, ohne Bezahlung. Warum macht jemand so etwas?

 Stefan Bröckling mit zwei Entenküken am Alten Hafen in der Altstadt

Stefan Bröckling mit zwei Entenküken am Alten Hafen in der Altstadt

Foto: Andreas Endermann

Vielleicht ist es doch ein Rebhuhn. Stefan Bröckling steigt lieber noch mal aus und schaut in den Käfig, den er hinten in seinem Citroën-Kastenwagen verstaut hat. Dann blickt er wieder auf das Handy. Nein, er ist sich sicher: Der kleine Vogel sieht aus wie die Wachteln auf den Fotos im Internet. Nun muss er nur noch herausfinden, welche Vogelstation zuständig ist. Und er muss Hermine fragen, ob sie ihn bis morgen durchbringen kann. Dann hat er schon wieder ein Tier gerettet.

Es ist 14.30 Uhr, und es ist schon sein sechster Einsatz heute. Die Wachtel, wenn es denn eine ist, hat er gerade aus einem Laden am Oberbilker Markt abgeholt. Der junge Vogel tapperte im Innenhof plötzlich um die Ecke, ganz ohne Mutter. Die Mitarbeiter wussten nicht, was sie tun sollten. Also streckten sie ihn in eine Pappkiste. Und dann stießen sie im Internet auf den Tiernotruf. "Vielen Dank", hat Bröckling gesagt, als er sich verabschiedet hat. "Nein, wir haben zu danken", sagte einer der Finder.

Und weil es vielleicht einfach so naheliegend ist, dass es eine Tierrettung gibt, hat keiner den Tierretter gefragt, wer ihn denn überhaupt bezahlt. Oder was das ist, dieser Tiernotruf. Dabei wäre die Antwort sehr interessant. Niemand muss Stefan Bröckling, 45 Jahre, bezahlen. Seit anderthalb Jahren ist er als Tierretter unterwegs, ein Ein-Mann-Projekt, in Vollzeit, täglich außer Sonntag. Er fährt mehr als 100 Kilometer am Tag, das Handy hat er immer an. Das alles finanziert er bislang vor allem durch seine Lebens- und seine Rentenversicherung. Beide hat er im vergangenen Jahr gekündigt, um Tieren zu helfen. "Ich rechne mit Altersarmut", sagt er. Und das ist nicht der einzige bemerkenswerte Satz, den man hört, wenn man eine Weile mitfährt.

In dem schwarzen Citroën Berlingo, Baujahr 2007, transportiert Bröckling alles, was er so braucht. Gummistiefel und Handschuhe, ein Navigationsgerät, große und kleine Käfige. Er hat auch ein Paket Toastbrot dabei, obwohl er weiß, dass man das Vögeln nicht geben soll. Aber weil sie das kennen, kommen sie. Bröckling hat auch ein Gerät, mit dem er Fangnetze meterweit schießen kann, die Technik hat er sich selbst beigebracht. Außerdem hat er sich Werkzeuge gebaut. So wie die ferngesteuerte Ente, die Lockrufe per MP3-Player absetzen kann. Bröckling möchte, dass sie auch Futter auslegt, aber das Rohr ist zu schwer und bringt sie zum Sinken. Noch. Er wird weiter basteln. Er ist einer, der nicht den Plan fertig haben muss, wenn er anfängt.

So war das auch mit der Tierrettung. Bröckling hat lange als Fotoreporter gearbeitet, vor allem für die Tierschutzorganisation Peta. Er hat mit versteckter Kamera nach Missständen in Massentierhaltung gesucht oder Hundehalter zur Rede gestellt, wenn die ihre Tiere schlecht behandelten. Irgendwie war das aber eine negative Arbeit, meint er. Jetzt macht er etwas Positives. Oft wird er wegen Vögeln gerufen, häufig auch wegen Straßenkatzen. Auf Hunde trifft er seltener, die haben ja einen Halter, der sich um sie kümmert. Er kommt für jedes Tier, für Tauben wie für Bussarde.

Die nächste Station ist ein kleines, verstecktes Häuschen neben dem Haniel-Park im Zooviertel. Das ist eine Basis von Hermine Ohler. An ein Fenster sind Entchen gemalt, auf dem Sims stehen Porzellan-Schweinchen. Das Häuschen ist voll mit Vogelkäfigen. Hermine Ohler ist die Gründerin der Entenhotline, für die Bröckling auch gearbeitet hat und mit der er zusammenarbeitet. Sie kämpfen für dieselbe Sache, und wenn man zuhört, mit wem Bröckling so alles noch telefoniert, dann hat man schnell das Gefühl, eine ganz neue Stadt in der Stadt kennenzulernen, ein Netz aus Entenmüttern, Schwanenhelfern und Vogelkundlern, biologischen Stationen und privaten Aufpäppelstationen. Bröckling stellt der Wachtel einen Napf mit Wasser in den Käfig, Hermine wird sie mit Mehlwürmern versorgen. Morgen bringt er das Tier zur Vogelstation. Dann fährt er weiter, aus Monheim ist der nächste Anruf gekommen. Die Feuerwehr hat ihm den Fall vermittelt.

Stefan Bröckling ist in einer Kleinstadt in Ostwestfalen aufgewachsen. Nicht mit Tieren, die Eltern hatten nur mal einen Kanarienvogel, der in einem Käfig gehalten wurde, was Bröckling in der Rückschau nicht gut findet. Als Jugendlicher entschied er sich, Vegetarier zu werden, ohne dass er einen Grund nennen konnte. Das sieht er heute als Vorzeichen. Zur Ausbildung als Radio- und Fernsehtechniker zog er mit 17 nach Düsseldorf. Dann machte er Zivildienst. Weil er da wenig arbeitete, machte er mit, als ihn Tierversuchsgegner ansprachen.

Das war im Grunde der Einstieg in seine Laufbahn als Tierretter. Auf die Frage, was ihn antreibt, weiß er gar nicht viel zu sagen, vielleicht, weil er das alles so selbstverständlich findet. Den Wunsch, anderen zu helfen, habe er wohl von seiner Mutter geerbt. Die helfe zwar nicht Tieren, aber Nachbarn und Flüchtlingen. So sei er auch erzogen worden. Und irgendwie wolle er einen Gegenpol zu den ganzen schrecklichen Nachrichten bilden. Und dann sagt er einen schönen Satz, den man so gar nicht erwartet, weil man dann doch immer auf einen Business-Plan wartet, den Bröckling aber offenbar nicht hat, oder weil man glaubt, er würde sich sorgen, dass man ihn für einen Spinner halten könnte: "Vielleicht mache ich das einfach, weil mein Herz danach verlangt."

In einer Hochhauswohnung in Monheim warten sechs Entenküken. Die Familie hat sie im Vorgarten gefunden, von der Entenmutter keine Spur. Sie haben Wasser in die Kiste gefüllt, damit die Enten planschen können. Das ist schlecht, denn so unterkühlen sie sehr schnell, erklärt Bröckling der Familie. Er ist kein Biologe, aber hat sich viel angelesen. Die Familie hört kaum zu und wirkt froh, dass jemand die Enten mitnimmt. Am Auto schiebt Bröckling eine Wärmeplatte in den Käfig, die über den Zigarettenanzünder mit Energie versorgt wird. Auch ein Eigenbau.

Jeden Tag trifft er auf Vögel, die sich in der Großstadt verlaufen haben. Oder er rettet Entenküken aus künstlichen Gewässern, die schön aussehen, aus denen die Küken aber nicht herauskommen, weil der Rand zu hoch ist. "Weil Menschen die verbrochen haben", sagt Bröckling. Überhaupt sei es meist menschliches Zutun, das ihm Einsätze verschaffe. "Der Mensch hat vor nicht langer Zeit begonnen, Städte zu bauen, und die Tiere haben sich noch nicht darauf eingestellt", sagt Bröckling. Dafür gibt es jetzt den Tiernotruf.

In den anderthalb Jahren hat Bröckling gemerkt, dass seine Arbeit ein Fass ohne Boden ist. Je bekannter er wird, desto häufiger ruft man ihn. Manchmal am späten Abend rückt er sogar nicht mehr aus, für den Sonntag hat er eine Vertretung gefunden. Er will sich nicht kaputtmachen. Bröckling hat gerade einen Verein gegründet, weil er hofft, mehr Spender zu gewinnen, die seine Einsätze ermöglichen. Vielleicht findet er sogar eine Art Mäzen. Er stamme nicht aus einer reichen Familie, es gebe keinen Plan B im Hintergrund. "Ich habe kein Konzept für das, was in zwei Jahren ist", sagt er. Dass sich die Tierrettung wirklich mal tragen wird, glaubt er nicht. Dann ist halt irgendwann Schluss, dann geht er eben für Geld arbeiten. Bröckling: "Ich mache das bis zum finanziellen Ruin."

Jetzt hat er erst mal Zeit, die Futterstationen für die Enten in der Altstadt aufzufüllen. Am späten Nachmittag, wenn die Menschen nach Hause kommen, werden sie ein paar Tiere in Not finden. Dann wird das Telefon bestimmt noch mal klingeln.

(arl)
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