Arena-Chef im Interview "Die besten Fluchtwege allein nutzen nichts"

Düsseldorf · Ralf Zimme, Sicherheitschef der Arena spricht im Interview über die unterschiedlichen Bedürfnisse des Publikums und die Herausforderungen des Security-Personals.

 Sicherheitsmanager Ralf Zimme muss oft auch auf aktuelle Ereignisse wie die Anschläge in Manchester und London reagieren.

Sicherheitsmanager Ralf Zimme muss oft auch auf aktuelle Ereignisse wie die Anschläge in Manchester und London reagieren.

Foto: Anne Orthen

Sicherheit steht ständig im Fokus, seit dem Loveparade-Unglück, aber immer mehr auch durch Anschläge wie jüngst in Manchester und London. Macht Ihr Job noch Spaß?

Ralf Zimme Kein Beruf macht immer Spaß. Wenn wir es schaffen, dass nach einer Veranstaltung alle zufrieden sind, dann macht der Job Spaß. Die Bedrohung durch Terrorismus ist aber für uns nur ein Teil eines großen Gesamtbilds.

Sie sind unter anderem verantwortlich für die Sicherheit in der Esprit-Arena und im ISS Dome. Und Sie sind Experte für "Crowd Management". Was bedeutet das?

Zimme Sicherheit hat nicht nur mit Fluchtwegen oder Schildern zu tun. Die Arena und andere Hallen sind für Menschenmengen gebaut. Die Voraussetzungen sind also gut. Man kann aber nicht einfach ein Gebäude hinstellen, sondern muss die Umgebung immer auf Funktionalität prüfen. Wir müssen den Besucher in den Mittelpunkt stellen, das typische Verhalten kennen.

Was heißt das zum Beispiel?

Zimme Zu einem Fortunaspiel kommen Fußballzuschauer. Die haben völlig andere Bedürfnisse als Teilnehmer eines Dental-Kongresses.

Klar. Was brauchen sie denn?

Zimme Sehr viele Besucher kommen zum Beispiel erst spät. Dann treffen 30.000 Menschen auf einmal ein. Es hilft nichts, wenn wir die Eingänge vier Stunden vorher öffnen. Wir müssen uns auf das Publikum einstellen, anders herum geht es nicht. Wir haben deshalb z.B. den Südeingang umgebaut. Bei einer Quietschie-Veranstaltung läuft es anders.

Quietschie-Veranstaltung?

Zimme Ja. Quietschies sind sehr junges Publikum. Wenn eine Teenie-Band gastiert, kommen viele 24 Stunden vorher oder übernachten vor dem Eingang. Das sind teilweise ganz junge Kinder, die über wenig Erfahrung verfügen. Die kommen zum Teil im T-Shirt und haben nicht daran gedacht, dass es abends kalt wird. Da müssen wir dabei sein, das sind unsere Schutzbefohlenen. Und wir müssen ihre Bedürfnisse kennen.

Was heißt das?

Zimme Wenn die Jugendlichen anstehen, dann wollen sie ihren Platz in der Schlange nicht verlieren. Dann gehen sie nicht zur Toilette oder holen sich nichts zum Trinken. Es sind eben nicht die Zuschauer der Rolling Stones, die seit 50 Jahren auf Konzerte gehen. Ich hingegen möchte, dass die Jugendlichen trinken und aufs Klo gehen.

Wie geht das denn?

Zimme Wir schaffen kleine Einheiten. Die Ordner lassen immer drei Leute gehen und achten darauf, dass sie die Plätze wiederbekommen. Crowd Management ist keine Raketenwissenschaft.

Der Dental-Kongress ist einfacher.

Zimme Natürlich braucht man da keine Absperrgitter. Aber man muss zum Beispiel über Sprache nachdenken. Diese Erfahrung haben wir beim Eurovision Song Contest gemacht: Da hatten wir Ansagen auf Englisch und Französisch, aber man hätte besser auch die Sprachen des osteuropäischen Raums abgedeckt.

Ist das Publikum komplizierter als früher geworden?

Zimme Das kann man so nicht sagen. Trotzdem hat sich vieles verändert. Es gibt eine internationale Definition von Sicherheit. Sie lautet: "Sicherheit ist die Freiheit von nicht akzeptablen Risiken." Das heißt: Man muss schauen, welche Risiken in der Gesellschaft akzeptiert sind. Diese Akzeptanz wandelt sich mit der Zeit.

Was heißt das konkret?

Zimme Als ich vor 30 Jahren angefangen habe, haben wir Konzerte in den Bonner Rheinterrassen organisiert. Da haben Zuschauer Lagerfeuer entzündet. Das ist sogar gelegentlich außer Kontrolle geraten, dann musste jemand das Feuer austreten. Aber: Da haben alle drüber gelacht.

Die Leute sind heute vorsichtiger.

Zimme Nicht nur das. Die Einstellung hat sich geändert. Wir erleben es, dass Leute von einem Gerüst fallen und dann fragen, warum der Veranstalter nicht verhindert hat, dass sie hochklettern. Es gibt Publikumsgruppen, bei denen die Eigenverantwortung abgeschaltet ist. Darauf müssen wir uns einstellen.

Sie planen, wie sich Menschen verhalten. Reagieren sie berechenbar?

Zimme In vielerlei Hinsicht schon. Das sieht man an unseren Einlässen. Ein Beispiel: Es stehen fünf Schlangen an. Und daneben steht ein Ordner, der wartet auf Kundschaft. Zu dem geht aber keiner. Denn die Ankommenden denken, da stimmt etwas nicht, weil da keiner ist. Sie wollen sich nicht lächerlich machen. In Wirklichkeit wären sie Sieger. Es gibt viele solche typischen Verhaltensweisen, und wir müssen damit umgehen, die Menschen ansprechen, führen und Handlungshilfen geben.

Was heißt das für Ihre Arbeit?

Zimme Dass auch die besten Fluchtwege allein nichts nutzen. Wir müssen sie interessant machen. Denn die Besucher wollen zunächst auf dem Weg hinaus, den sie gekommen sind. Da sind vor allem die Ordner gefordert. Sie müssen die Zuschauer führen. Deshalb verlangen wir von ihnen, dass sie sich mit der Umgebung befassen. Die Zuschauer müssen ihnen vertrauen. Das braucht man in Notsituationen.

Für die Tour de France stellt die Stadt viele LED-Bildschirme auf. Das beruht auf einem Vorschlag eines Experten für Crowd Management.

Zimme Das ist eine gute Idee. Die Leute wollen immer die Attraktion sehen. Wenn sie die Strecke nicht erkennen, weil ihre Sicht zu schlecht ist, dann entsteht Bewegung, die man nicht will. Dann klettern die Besucher plötzlich irgendwo hoch oder drängen in bereits gefüllte Bereiche. Ein Bildschirm kann das verhindern.

Die Tour ist für die Sicherheit eine besondere Herausforderung.

Zimme Ja, es ist einfacher, wenn man einen Ort wie die Arena lange erprobt habt. Aber deshalb arbeitet das Tourbüro ja schon seit mehr als einem Jahr am Konzept.

Am Abend nach dem Anschlag in Manchester trat Udo Lindenberg im ISS DOME auf. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verstärkt. Wie fällt eine solche Entscheidung?

Zimme Wenn ich morgens aufstehe und eine solche Nachricht höre, weiß ich, dass das unsere Pläne betrifft. Das ging den Veranstaltern auch so. Wir hatten bereits vorher hohe Standards und haben nicht viel verändert. Wir hatten vorher empfohlen, keine großen Taschen mitzubringen. Nun sind sie verboten. Außerdem haben wir den Einlass vorverlegt.

Je mehr die Sicherheit kostet, desto teurer wird die Veranstaltung. Spielen die Veranstalter noch mit?

Zimme Natürlich steigen die Kosten. Am Ende wirkt sich das vielleicht auf den Ticketpreis aus. Aber auch die Veranstalter wissen, dass die Besucher sich beklagen würden, wenn nicht kontrolliert wird. Das ist ein Paradigmenwechsel, den wir vor allem seit den Anschlägen in Paris erleben.

Verfolgen Sie die Events vor Ort?

Zimme Sehr oft. Ich gehe häufig dorthin, wo es interessant ist. Also zum Einlass, an die Bühne oder zum Auslass. Aber wir richten seit 2014 auch immer eine Zentrale ein, wo wir etwa mit Polizei und Feuerwehr sitzen. Es geht darum, dass Informationen schneller ankommen. Das spart in Notfällen wertvolle Zeit.

Trotzdem bleiben Situationen, auf die man sich nicht einstellen kann.

Zimme Ja. Die gab es schon immer. Man muss bereit sein, um auf unvorsehbare Situationen schnell und professionell reagieren zu können.

ARNE LIEB FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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