Essay Der Schmerz der Mannesmänner

Düsseldorf · Vom einstigen Weltkonzern, der Düsseldorf prägte, sind nur Fragmente übriggeblieben. Einst ernährte der Stahlkonzern Tausende Düsseldorfer. Sie waren stolz, zu den "Mannesmännern" zu gehören. Dass der Name verschwindet, schmerzt sie.

 Im Mannesmann-Hochaus am Rheinufer war einst die Zentrale des Konzerns, das in der Spitze mehr als 70.000 Menschen beschäftigt.

Im Mannesmann-Hochaus am Rheinufer war einst die Zentrale des Konzerns, das in der Spitze mehr als 70.000 Menschen beschäftigt.

Foto: Mannesmann-Archiv

Heute ist Düsseldorf vor allem bekannt als die Stadt der Mode und der Werbung, der Kreativen und der Juristen. 13.000 Anwälte gibt es in der Stadt, doppelt so viele wie in ganz Österreich. Und viele Verwaltungszentralen haben ihren Sitz in der Stadt mit dem Schicki-Micki-Image. Doch das alles war nicht immer so. Vor gar nicht allzu langer Zeit war Düsseldorf das Zentrum der europäischen Stahlindustrie.

Aus aller Welt trafen die Manager dieser Branche ein, um in Düsseldorf Geschäfte zu machen. Nicht Düsseldorfs kreative Leistungen standen im Vordergrund, sondern schwere Maschinen und Investitionsgüter. Die meisten aus Stahl, dem Werkstoff, der das 20. Jahrhundert - im Guten und im Schlechten - prägte wie kein anderer. Und ein Name repräsentierte Düsseldorfs Wirtschaftskraft wie kein anderer: Mannesmann.

Zwei Brüder, Max und Reinhard Mannesmann, hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Produkt entwickelt, das die Industrie jener Zeit revolutionierte: das nahtlose Rohr. Das klingt aus heutiger Sicht trivial, ist es aber keineswegs.

"Vor dieser Erfindung wurden Rohre praktisch aus Blechen gerollt und dann an der Naht verbunden. Und genau diese Nähte waren den großen Drücken oft nicht gewachsen. Es kam zu folgenschweren Unfällen", sagt Norbert Keusen, Deutschland-Chef des Mannesmann-Nachfolgerunternehmens Vallourec. Das nahtlose Rohr machte ganz neue technische Dinge im Zeitalter der Industrialisierung möglich.

Die Geschichte des Mannesmann-, Vodafone-Hochhauses
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So stieg die Firma Mannesmann in rasantem Tempo auf. Nach mehreren Zwischenstationen in Remscheid und Berlin wurde Düsseldorf 1893 die Zentrale des Mannesmann-Reiches. Wie viele Großkonzerne der Schwerindustrie wurde Mannesmann nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten zerschlagen. Es entstanden drei selbstständige Unternehmen mit den Namen Mannesmann AG, Consolidation Bergbau AG und Stahlindustrie und Maschinenbau AG. Das sollte eine zu große Machtballung verhindern. Doch stellte sich schnell heraus, dass die einzelnen Teile allein nicht überlebensfähig waren. Im Jahr 1955, durften sich die verschiedenen Teilgesellschaften des Stahlkonzerns unter Führung der Mannesmann AG wieder zusammentun.

Im selben Jahr startete ein junger Mann seine Karriere bei Mannesmann: Hermann Macher. "Nur zehn Jahre nach dem Kriegsende war es etwas ganz Besonderes, eine Lehrstelle bei so einem Unternehmen wie Mannesmann zu bekommen. Meine Brüder waren noch in Kriegsgefangenschaft, und ich bekam diese einmalige Chance", erinnert sich der heute 86-Jährige. Er machte eine Kaufmannslehre bei der Mannesmann-Hütte in Hattingen. Macher, der heute in Angermund lebt, machte eine steile Karriere, die typisch ist für die deutsche Wiederaufbau-Epoche.

Schnell stieg er zum Hauptabteilungsleiter auf, arbeitete im Werk Remscheid und viele Jahre in Rath, am Ende als Prokurist. "Und Mannesmann", sagt Macher, "das war kein Arbeitgeber wie jeder andere. Wir bezeichneten uns als Mannesmänner. Man gehörte dazu", sagt er. Bei Mannesmann arbeiten zu dürfen, habe ihn damals mit Stolz erfüllt - und viele Tausende andere auch, 70.000 waren es in der Spitze. Die Arbeitsplätze galten als sicher. "Das war nicht nur im Management so. Auch die Arbeiter teilten dieses Lebensgefühl." Das große Geld verdiente Mannesmann in diesen Jahren mit Stahl, Rohren und zunehmend auch im Maschinenbau. Der Industriekran- und Baggerhersteller Demag wurde ebenso übernommen und integriert wie der Benrather Kranbauer Gottwald.

1990 stieg der Mannesmann-Konzern in ein neues Geschäftsfeld ein, das aus einem vollkommen anderen Bereich stammte. Der Konzern erwarb die Lizenz zum Aufbau und Betrieb des ersten privaten Mobilfunknetzes in Deutschland. "Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir uns damals gefreut haben, dass unser Unternehmen den Zuschlag für die Mobilfunklizenz erhalten hat", sagt Macher. Und dieses Geschäft wuchs so schnell, dass es bald die historischen Geschäftsfelder der Montanindustrie in den Schatten stellte. Für den traditionsreichen Gesamtkonzern sollte das zum Verhängnis werden.

Eigentlich war der Plan, die Mannesmann-Röhrenwerke in eine eigene Firma namens Atecs zu packen und an die Börse zu bringen, um nur noch Mobilfunk zu betreiben. Dort wäre Atecs auf Anhieb einer der größten Dax-Konzerne gewesen. Dazu kam es nicht. Der wesentlich kleinere britische Mobilfunkkonzern Vodafone hatte ein Auge auf Mannesmann geworfen - mit alleinigem Interesse an der Telefonie. 100 Milliarden Euro boten die Briten. Die Mannesmann-Spitze winkte ab. Was folgte, war eine monatelange und spektakuläre Übernahmeschlacht. Im Zuge der bis heute teuersten feindlichen Übernahme der Welt kaufte Vodafone den Mannesmann-Konzern für 190 Milliarden Euro.

Doch an dem industriellen Geschäft - Rohre, Bagger, Krane - hatten die Briten keinerlei Interesse. Im Gegenteil, die Veräußerung diente zur Refinanzierung der feindlichen Übernahme. Mannesmann wurde brachial zerschlagen. Siemens, Bosch, später Salzgitter und viele andere kauften die Einzelteile von Mannesmann und integrierten sie. Schnell wurde aus Mannesmann D2 Vodafone. Das letzte Düsseldorfer Unternehmen, das den Traditionsnamen noch führte, war der deutsch-französische Konzern Vallourec & Mannesmann. Doch kürzlich hat auch der das "Mannesmann" aus dem Namen gestrichen. "Die Rechte dafür liegen bei Salzgitter", sagt Vallourec-Chef Keusen. Ausgerechnet ein Unternehmen, das gar keine nahtlosen, sondern geschweißte Rohre herstellt.

"Für mich ist dieser restlose Untergang von Mannesmann völlig unbegreiflich. Was ist da schief gelaufen?", fragt Hermann Macher. "Dass Firma und der Name Mannesmann so verschwinden, ist für mich sehr schmerzlich, und so geht es vielen", meint er. Dass man das Mannesmann-Hochhaus heute oft als Vodafone-Hochhaus bezeichnet, ist für ihn ein Unding. Was ist geblieben vom Namen Mannesmann in Düsseldorf? Zumindest ein blaues Emaille-Schild am Rhein mit der Aufschrift: Mannesmannufer.

(tb.)
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