Karneval in Düsseldorf Darum fährt der Chef des Muslim-Kreises auf dem jüdischen Wagen mit

Düsseldorf · Heinrich Heines Geburtstag inspirierte die Jüdische Gemeinde zu ihrem ersten Rosenmontagswagen. Mitfahren wird auch der Chef des Kreises der Muslime. Und das ist nicht das einzige, was ihn und die Oberhäupter der jüdischen Gemeinde verbindet.

 Nicht immer einer Meinung, aber immer im Gespräch: Dalinc Dereköy vom Kreis der Düsseldorfer Muslime mit Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde, und Wilfried Johnen (v.l.)

Nicht immer einer Meinung, aber immer im Gespräch: Dalinc Dereköy vom Kreis der Düsseldorfer Muslime mit Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde, und Wilfried Johnen (v.l.)

Foto: Andreas Bretz

In einer Woche erlebt Düsseldorf eine Premiere: Im Rosenmontagszug fährt die Jüdische Gemeinde mit. Dabei ist auch der Vorsitzende des Kreises der Düsseldorfer Muslime (KDDM), Dalinc Dereköy. Für Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Gemeinde, und Wilfried Johnen, Geschäftsführer des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, war die Einladung eine Selbstverständlichkeit. Denn die Jüdische und die Muslimische Community arbeitet nicht zum ersten Mal zusammen.

Haben Sie schon ein Kostüm?

Michael Szentei-Heise Wir passen uns dem Thema unseres Wagens - Heinrich Heine - an und tragen Kostüme aus dem 18. Jahrhundert. Dalinc Dereköy Ich werde wohl ein orientalischer Dichter sein.

Herr Dereköy, Sie sind gebürtiger Düsseldorfer. Wären Sie gern früher schon mal zum Zoch eingeladen worden?

Dereköy Ich bin kein Karnevalist. Als ich zuletzt beim Rosenmontag verkleidet war, war ich acht und ging als amerikanischer Kavallerist. Es war also kein großer Wunsch da.

Aber als die Jüdische Gemeinde einlud, waren Sie sofort dabei?

Dereköy (lacht) Es war keine richtige Einladung. Michael Szentei-Heise rief mich an, fragte, ob ich am 12. Februar etwas vorhabe, und als ich ahnungslos nein sagte... Szentei-Heise... war die Sache klar.

Also doch ein heimlicher Karnevalist?

Dereköy Für das starke multi-religiöse Symbol, das darin steckt, mache ich mich im Wortsinn gern mal zum Narren. Ich muss aber zugeben, als mir klar wurde, dass da eine Million Menschen zuguckt, da wurde mir ein bisschen anders.

Erwarten Sie Probleme?

Dereköy Ich werde mich sicher auch rechtfertigen müssen. Gläubige Muslime haben ein Problem mit Karneval, weil der Umgang mit Alkohol für sie schwierig ist. Szentei-Heise Dabei gibt es so tolle Weine in der Türkei. Und Efes ist ein ausgezeichnetes Bier. Dereköy Wenn du das sagst. Szentei-Heise Auf dem Wagen gibt es Uerige.

Und koschere Kamelle.

Dereköy Auf die freue ich mich sehr.

Warum?

Dereköy Weil ich die ohne nachzudenken essen kann.

Aber es ist doch nur ein Bonbon.

Szentei-Heise Wenn es mit tierischer Gelatine gemacht ist, gilt es als fleischig. Dann darfst du nach jüdischen Speisevorschriften danach nichts milchiges zu dir nehmen. Dereköy Für uns ist es nicht halal, wenn Schweineprodukte in der Gelatine verarbeitet sind. Szentei-Heise Unsere Speisevorschriften sind eben strenger als eure. Außer beim Alkohol. Beim Purim-Fest etwa ist es sogar geboten, so lange zu trinken, bis wir Gut und Böse nicht mehr voneinander unterscheiden können. Aber zurück zu den Kamelle: Sie sind gerade geliefert worden, schmecken sehr gut und sind koscher, halal und vegan.

In einer idealen Welt fragt keiner, auf welchem Wagen Juden, Muslime oder Christen sind.

Szentei-Heise In der Welt, in der wir jetzt leben, kann man aber die Geschichte nicht ignorieren. In Köln ist schon zehn Jahre VOR Hitler die Beteiligung von Juden am Karneval vom Karnevalskomitee untersagt worden. Die Rosenmontagswagen in der Nazizeit waren auf übelste Art antisemitisch. Unser Wagen ist ein Zeichen einer neuen Zeit.

Aber betont er nicht die Sonderstellung in der Stadtgesellschaft statt die selbstverständliche Zugehörigkeit?

Szentei-Heise Das kommt auf die Sichtweise an. Dereköy Ihr als jüdische Gemeinde habt wenigstens eine Sonderstellung in der Stadtgesellschaft. Wir werden oft gar nicht als Teil von ihr wahrgenommen. Wilfried Johnen Unsere gute Beziehung zur Stadt ist seit vielen Jahren gewachsen. Szentei-Heise Der Preis, den wir für diese "Sonderrolle" gezahlt haben, war aber auch sehr hoch. Dereköy Natürlich. Und diesen Preis wollen wir niemals zahlen.

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Sehen Sie diese Gefahr?

Dereköy Billy Wilder soll mal gesagt haben, die Optimisten kamen nach Auschwitz, die Pessimisten sind rechtzeitig geflüchtet. Wir stellen schon fest, dass uns gut ausgebildete Muslime verlassen, um etwa in der Türkei Karriere zu machen, weil sie sich hier nicht akzeptiert fühlen. Die nehmen eine politisch schwierige Lage lieber in Kauf als die Ablehnung in Deutschland.

Wie nehmen Sie Ablehnung wahr?

Dereköy Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn elf Leute in orangefarbenen Westen durch Wuppertal laufen, macht das bundesweit Schlagzeilen. Wenn wir hier seit Jahren ein großes integratives Fest feiern, bei dem Priester gegen Imame Fußball spielen und ein Rabbiner Schiedsrichter ist, interessiert das kaum jemanden. Es wird viel mehr über das diskutiert, was trennt und polarisiert, als über das, was uns verbindet.

Wenn ich Sie so höre, scheint mir, dass Juden und Muslime in Düsseldorf weit mehr verbindet, als das weltpolitisch der Fall ist.

Szentei-Heise Das ist auch so. DEREKÖY Es ist ein zartes Pflänzchen, das aus persönlichen Freundschaften sprießt. Das müssen wir pflegen. Denn erst, wenn es die Freundschaft zwischen den Institutionen gibt, kann es funktionieren.

Wie kam es eigentlich dazu?

Johnen Die frühere Landtagspräsidentin Carina Gödecke hat uns bei einer Veranstaltung vorgestellt und gesagt "Ihr müsst mal reden". Dereköy (lacht) ... und das machen wir immer noch. Johnen Ja, das war der Beginn einer wunderbaren Verbindung.

Sie haben schon einiges zusammen gemacht.

Dereköy Ja. Gerade erst haben wir ein gemeinsames Kunstprojekt auf den Weg gebracht, das die Multi-Religiosität in Düsseldorf bildlich dokumentiert. Szentei-Heise Und als "Dügida" an der Adersstraße aufmarschiert ist, haben sich Mitglieder der jüdischen Gemeinde zusammen mit den Muslimen vor die Moschee gestellt. Oder beim Thema Beschneidung haben wir übrigens schon zusammengearbeitet - es geht uns ja beide an.

Und Sie haben ein wichtiges Projekt für die Schulen entwickelt.

Johnen Oh ja. "Klar im Kopf" soll im nächsten Schuljahr sogar NRW-weit an den Schulen zum Programm werden. Es geht darum, Lehrer dafür zu sensibilisieren, gefährdete Jugendliche zu erkennen und ihnen Argumente an die Hand zu geben, mit denen sie radikalen Tendenzen etwas entgegensetzen können.

Dabei geht es in erster Linie um potenzielle Gefährder unter jungen Muslimen?

Johnen Nein. Es geht um Radikalisierung. Ob rechts, links, muslimisch oder was auch immer spielt keine Rolle - wir wollen allem etwas entgegensetzen. Dereköy Ich würde an dieser Stelle gerne betonen, dass 90 Prozent der antisemitischen Straftaten in Deutschland von Rechtsextremisten begangen werden. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Jugendliche, die nicht in den Moscheegemeinden sind, vor allem die, die in der Schule und in ihrer Freizeit keine Erfolgserlebnisse haben, dass diese Jugendlichen Gefahr laufen, sich zu radikalisieren.

Reden wir hier von einem neuen Schulfach?

Johnen (lacht) So eine Stunde Immunisierung? Nein. Es geht eher darum, den Charakter zu stärken und für Akzeptanz zu werben. Dereköy Und es geht um Bildung. Johnen Wir haben ein sehr erfolgreiches Pilotprojekt mit der Jugendberufshilfe gestartet. Wir bilden die Lehrer fort, damit sie mit den Jugendlichen im Gespräch bleiben, ihre Sichtweise verändern können. Als wir den Leitern der Berufskollegs unsere Idee vorgestellt haben, waren die begeistert.

Und das funktioniert?

Johnen Ein Beispiel: Die Jugendberufshilfe betreut unseren Jüdischen Friedhof. Vor Jahren schickten die uns da einen Glatzkopf, der mit Sprüchen kam wie "Jetzt müssen wir den Scheißjuden noch die Gräber putzen". Ich habe mit ihm gesprochen, ihm erklärt, was die Grabpflege bei uns für eine Bedeutung hat. Nach drei Monaten wollte er ein Praktikum im jüdischen Altenheim machen und sein White-Power-Tatoo entfernen. Reden hilft. Information hilft, das Bewusstsein zu ändern. Dereköy Das ist so wichtig. Viele wissen nicht einmal, dass sie hier alle Möglichkeiten haben. In der Türkei etwa können sich nur reiche Leute leisten, ihre Kinder zum deutschen Gymnasium in Istanbul zu schicken. Alles, was du hier tun musst, ist lernen - dann steht dir die Welt offen. Es ist doch entsetzlich, wenn ahnungslose Kinder und Jugendliche mit so viel ungenutztem Potenzial nach Syrien ziehen, um da zu sterben.

(sg)
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