Serie So Klingt Düsseldorf Chorleiter ohne Stimme

Düsseldorf · Stephan Hahn war Organist und Chorleiter. Dann hatte er einen Unfall, war klinisch tot. Seit jenem Tag kann er nur noch flüstern - trotzdem dirigiert er heute wieder einen Chor. Und sein Leben ist lebenswerter denn je, sagt er.

 Stephan Hahn in der Andreaskirche: Hier gibt er mit seinem Chor und dem Orchester regelmäßig Konzerte.

Stephan Hahn in der Andreaskirche: Hier gibt er mit seinem Chor und dem Orchester regelmäßig Konzerte.

Foto: Andreas Endermann

Es gibt eine Aufnahme von Stephan Hahn, auf der ist seine Stimme zu hören und ironischerweise stammt sie von jenem Tag, an dem er sie verlor. Manchmal hört Hahn sich selbst noch wie ein altes Echo, die Stimme ist vertraut, und doch ist es ein anderer, der da spricht.

Hahn hat sich manchmal die Frage gestellt, was für ein Mensch er wohl geworden wäre, wenn er an jenem Tag 1990 nicht diesen Unfall gehabt hätte. Er war Beifahrer, schlief, als seine Frau die Kontrolle über den Wagen verlor. Sie hatte ein paar Schrammen, er hingegen wurde schwer verletzt, war bereits klinisch tot, als die Retter ihn intubierten. Dabei verletzten sie einen Knorpel im Kehlkopf, wie sich später herausstellte, als er aus dem Koma erwachte, war seine Stimme weg. Zunächst dachten die Ärzte, das werde sich geben. Doch nach etlichen Untersuchungen stand fest, dass es zwar eine Möglichkeit gibt, seine Stimme durch eine Operation wieder herzustellen, doch es besteht die Möglichkeit, dass er dabei auch den letzten Rest seiner Stimme verliert. Eben jenes heiser-klingendes Flüstern, auf das sich der Zuhörer konzentrieren muss, um es wahrzunehmen. "Man gewöhnt sich daran", sagt Hahn.

Er hatte eine schwere Zeit nach dem Unfall, konnte nicht mehr als Organist und Chorleiter arbeiten, er ging stattdessen zum WDR, dort ist er nun einer von vier Tonmeistern der Anstalt. "Ich bin wohl überall als der heisere Tonmeister bekannt", sagt Hahn. Manchmal denkt er, dass die fehlende Stimme auch ein Vorteil ist. So hört man ihm besser zu, wenn er etwas sagt. "Und dass, was ich sage, überlege ich mir vorher gut." Und tatsächlich: Eben weil er so leise ist, wird er mehr wahrgenommen. "Nebenbei gesagt: Die Frauen müssen ja auch näher heranrücken, um mich zu verstehen", sagt er.

Seine Flüsterstimme hat Vorteile, das habe er für sich selbst festgestellt, doch natürlich fehlt sie ihm auch manchmal. Beim Telefonieren etwa: So geht seine Stimme im Rauschen einer Freisprechanlage im Auto unter. Das Gleiche in Kneipen oder vollen Sälen. Hier fällt es ihm schwer, sich verständlich zu machen. Doch ein anderes Problem überwiegt: Es trat immer auf, wenn er mit seinen Kindern unterwegs war, als die noch klein waren. Etwa auf dem Weihnachtsmarkt, "ich kann halt nicht nach ihnen rufen, wenn sie weg sind, sind sie weg". Deshalb hat er große Menschenmengen gemieden, wenn er alleine mit ihnen unterwegs war. Und er hat ihnen eingeschärft, immer an seiner Seite zu bleiben. Da kam dann schon mal die Horrorvorstellung, dass er eines seiner Kinder mit dem Rad auf eine Straße zufahren sieht, und er es nicht mehr warnen kann.

Auch den Chor der Gemeinde St. Ludger hat er vermisst. "Für mich war eigentlich klar, dass ich keinen Chor mehr leiten kann." Anfang der 2000er aber kamen ehemalige Mitglieder auf ihn zu und baten ihn, es doch noch einmal zu versuchen. Hahn ließ sich breitschlagen und tatsächlich ging es. "Besser als zuvor", sagt er. Aus dem Chor ist inzwischen der "Projektchor" aus St. Bonifazius geworden, ein Laienchor, der regelmäßig große Konzerte gibt. Das nächste Benefizkonzert etwa ist schon geplant, am 13. März in der Andreaskirche in der Altstadt bringt der Chor Werke von Ingenhoven, Mendelssohn-Bartholdy, Rheinberger, Schubert und anderen zur Aufführung. Bei seiner Arbeit als Tonmeister trifft er regelmäßig große Dirigenten und Musiker, von ihnen hat sich Hahn Tipps geholt, wie er trotz seiner stimmlichen Einschränkung den Chor leiten kann.

"Manchmal denke ich, dass es gut ist, so wie es gekommen ist", sagt Hahn. Er lebt seit dem Tag des Unfalls viel intensiver, freudiger, weil er die Zerbrechlichkeit des Lebens kennengelernt habe, sagt er. Und die Einschränkungen sind nur minimal, "angesichts dessen, was andere Menschen durchmachen müssen, eigentlich nicht erwähnenswert", sagt er. Viel habe er gelernt durch den Wegfall seiner Stimme und außerdem: Sie kommt zurück. Ganz langsam bildet sich der Knorpel nach, für ihn kaum merklich, verbessere sie sich.

(RP)
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