Student Basel Al Ali "Mein Leben hat angefangen, als ich nach Düsseldorf kam"

Düsseldorf · Was macht ein Student in Düsseldorf, der als syrischer Flüchtling in die Stadt gekommen ist? Er büffelt für die Uni, unterstützt andere Flüchtlinge - und kämpft gegen Vorurteile.

 Er hatte die Deutschen bei der Ankunft der Flüchtlingszüge jubeln sehen. Das hat Basel Al Ali veranlasst, selbst herzukommen. Die Freundlichkeit der einzelnen aber hat er in Deutschland vermisst.

Er hatte die Deutschen bei der Ankunft der Flüchtlingszüge jubeln sehen. Das hat Basel Al Ali veranlasst, selbst herzukommen. Die Freundlichkeit der einzelnen aber hat er in Deutschland vermisst.

Foto: Andreas Bretz

Die Ankunft im niedersächsischen Clausthal im Herbst 2014 wird Basel Al Ali nie vergessen. Als der damals 22-jährige Flüchtling aus dem Bus stieg, erschrak er fast zu Tode: Im Dunklen sah er die Gespenster und gruselige Monster über die Straßen ziehen. "Fast wäre ich wieder eingestiegen und zurück nach Syrien gefahren", sagt er, solche Angst fühlte er und solche Bedrohung. Heute kann er darüber lachen. Aber damals hatte er von Halloween noch nie gehört.

Basel Al Ali ist einer von denen, die es geschafft haben. Er kam als Flüchtling nach Deutschland, um hier zu studieren, und er hat hier Anschluss an die Gesellschaft gefunden. Vor drei Jahren flüchtete er über die Türkei nach Deutschland, kam nach Düsseldorf, um hier sein Mathematikstudium fortzusetzen. Nebenbei hilft er neuen, in Düsseldorf gestrandeten Flüchtlingen bei Behördengängen, Sprachhürden und Heimweh.

Aktuelle Bilder seiner Heimatstadt erinnern an die Aufnahmen aus Dresden im Februar 1945. Für ihn hat das im Bürgerkrieg zerstörte Aleppo kaum noch etwas mit der Stadt seiner Kindheit und Jugend zu tun. "Alle haben versucht, so normal wie möglich weiter zu leben. Bis es irgendwann nicht mehr ging." Für Basel Al Ali war dieser Zeitpunkt im Herbst 2013. Nach einem Anschlag in der Nachbarstraße mit Toten und Verletzten war die Sorge der Eltern um ihre vier Kinder zu groß. "Meine Mutter weinte jeden Tag", erzählt er. Der erste aus seiner Familie, der das Land verließ, war Basel, der Zweitälteste der vier Geschwister.

Zu Fuß ging er über die türkische Grenze, dort verbrachte er einige Tage in einem Flüchtlingscamp und lebte danach mehrere Monate im Süden des Landes in einer Jugendherberge. Regelmäßig ging er zur Grenze zurück, um anderen Flüchtlingen zu helfen. "Ich wollte keine Belastung für das Land sein und einen Beitrag leisten." Al Ali lernte türkisch und versuchte, sein Studium fortzusetzen, doch die türkische Universität erkannte seine bisherigen Leistungen an der von Aleppo nicht an, zudem konnte er die hohen Studiengebühren in der Türkei nicht zahlen.

In Deutschland, das weiß er, ist das Studium kostenlos. Und sicherer ist es auch. Al Ali fasst erneut einen Entschluss. Motiviert durch die Freundlichkeit der Deutschen, die auch schon vor den Bildern vom Hauptbahnhof in München unter Flüchtlingen bekannt war, beantragt der junge Mann ein Studentenvisum und besucht das Goethe-Institut in Ankara, um abermals eine fremde Sprache zu lernen. "Deutsch ist für mich so schwer, wie es für Deutsche sein muss, chinesisch zu lernen", erklärt der 25-Jährige.

Doch er bleibt bei seinem Plan, eine neue Zukunft zu suchen - auch ohne Versicherung, dass alles klappen wird. Acht Monate dauert es, bis er einen Termin bei der deutschen Botschaft erhält. "Ich wollte nicht illegal kommen, also hab' ich mir selbst ein Flugticket gekauft." Ein Studentenvisum kommt für die meisten Flüchtlinge nicht in Frage, weil es 8000 Euro kostet, man bereits das Sprachniveau B1 haben muss und die Ausstellung des Zertifikats viele Monate dauert.

Dass die Sprachkenntnis der Schlüssel zur Integration in einer Gesellschaft ist, war Al Ali früh klar. "Sprache ist die einzige Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den Kulturen herzustellen." Die ersten Monate arbeitete er als Werkstudent bei Daimler in Düsseldorf und wohnte bei einem Bekannten aus der Heimat. In seiner Freizeit besuchte er die Bibliothek und las Deutschbücher, manchmal bis zu 13 Stunden am Tag. Motivation gaben ihm seine Arbeitskollegen und andere Flüchtlinge, die ebenfalls mit der fremden Sprache zu kämpfen hatten.

Sein Vorname Basel wird zwar im Syrischen wie die schweizerische Stadt ausgesprochen, aber völlig anders geschrieben. Bei der Ankunft in Clausthal herrschte damals Hektik, darum improvisierten die Beamten bei der Erstellung des Visums. Nun steht in seinen deutschen Papieren die neue Schreibweise "Basel". Al Ali nimmt es gelassen: "Neue Heimat, neuer Name - passt doch."

In Clausthal wollte Al Ali nicht bleiben, weil er sich in einer Großstadt größere Chancen erhoffte, sich engagieren zu können. "Mein Leben in Deutschland hat eigentlich erst angefangen, als ich nach Düsseldorf kam." 2015 schrieb er sich an der Heinrich-Heine-Uni für ein Informatik-Studium ein. Auch für die Lehrenden eine Herausforderung, eine inhaltlich gute Seminararbeit von jemandem zu bewerten, dem nichts fremder als der deutsche Satzbau ist.

Der Weg nach Deutschland und zum Studium gelingt nicht immer so reibungslos. Al Alis Bruder kam sechs Monate später ins Land. Er versuchte über ein Jahr lang, die nötigen Zertifikate für einen Studienstart zu bekommen. Für den anspruchsvollen Deutschtest reiste er zu Behörden in ganz Deutschland. Zu Beginn des gerade gestarteten Wintersemesters konnte er endlich ein Studium in Göttingen beginnen.

Nicht nur mit der deutschen Bürokratie seien viele junge Flüchtlinge überfordert. Die größte Herausforderung: Wissenschaftliche Arbeiten oder Vorträge in einer Sprache zu halten, in der sie gerade einmal gelernt haben, sich grundlegend zu verständigen. Sehr gute Noten zu erzielen, sei so fast unmöglich. "Eigentlich müsste man uns mehr Zeit geben als den Muttersprachlern", meint Al Ali.

Neben dem Studium engagiert er sich vor allem für Neuankömmlinge. Er hilft Flüchtlingen bei Behördengängen, Übersetzungen und macht ihnen Mut. "Ich will mit meiner Arbeit gegen Vorurteile kämpfen. Die allermeisten Flüchtlinge wollen sich hier integrieren." Seit einigen Monaten ist ein weiterer Nebenjob dazu gekommen: Im Kulturzentrum Zakk hat er die Veranstaltungsreihe "Yalla" mit auf die Beine gestellt, die er selbst moderiert. Mit Erfolg: 600 Gäste besuchten jeweils die ersten beiden Veranstaltungen. "Yalla" soll als Ort dienen, an dem zusammen gegessen wird, ein Ort, wo man sich kennenlernt. Deutsche und geflüchtete Künstler musizieren zusammen, es gibt Vorträge, Poetry und Comedy. "Yalla ist Integration in der Praxis", sagt Ali. Das arabische Wort heißt so viel wie "Komm schon!" oder "Wir schaffen das", als Anlehnung an den vielzitierten Satz der Bundeskanzlerin.

Hat er sich in Deutschland willkommen gefühlt? Die Antwort ist "nein". Er sei dankbar, dass das Land so viele Flüchtlinge aufgenommen hat, und hat Respekt vor jedem freiwilligen Helfer, aber Al Ali hätte sich mehr Freundlichkeit von jedem Einzelnen gewünscht. "Viele Leute halten uns für eine Last. Diese Feindseligkeit macht mich traurig." Durch die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof wurde eine so große Erwartungshaltung unter den Flüchtlingen aufgebaut, dass viele am Ende enttäuscht waren: "Wo sind meine Süßigkeiten?", hätten die Kinder gefragt. Der Fehler läge aber nicht bei der Politik, sondern der Gesellschaft. "Die Deutschen haben weitergemacht, als wäre alles wie vorher, dabei ist es das nicht."

Und wie erlebt er die aktuelle politische Debatte, er, der aus einem Land kommt, in dem kaum einer je eine Wahl hatte? Die freien Wahlen in Deutschland hat er aufmerksam miterlebt, begeistert über die vielen Alternativen. "In Syrien gibt es nur pro oder contra Assad. Und eigentlich darf man nur für ihn sein." Auf die Frage, wen er gewählt hätte, antwortet Basel: "Mama Merkel."

(RP)
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