"Düsseldorfer Aufruf" der Jusos Anstoß von unten

Düsseldorf · Die Düsseldorfer Jusos wollen eine neue SPD. Schaffen wollen sie das mit dem "Düsseldorfer Aufruf" - einem Erneuerungsplan in sieben Punkten. Es geht um das Überleben der Partei, sagen sie.

 Die Düsseldorfer Jusos (v.l.) Maximilian Lykissas, Franca Bavey, Etienne Rubin und Jana Volkhausen kämpfen ums Überleben ihrer Partei.

Die Düsseldorfer Jusos (v.l.) Maximilian Lykissas, Franca Bavey, Etienne Rubin und Jana Volkhausen kämpfen ums Überleben ihrer Partei.

Foto: Andreas Endermann

Schulz war der Hauptgewinn. Die Düsseldorfer Jusos waren wirklich froh, ihn zu kriegen, damals im Herbst 2016, als der Zug noch namenlos im Bahnhof stand. Andere Ortsvereine haben den lebensgroßen Pappaufsteller "mit Rückenstütze für den Einsatz im Innenbereich" später für den Wahlkampf kaufen müssen. Da waren die Düsseldorfer Jusos mit ihrer Siegesprämie aus dem parteiinternen Social- Media-Wettbewerb schon lange unterwegs. Seit einer Bahnfahrt in Berlin ist ihr Papp-Schulz ein bisschen geknickt. Da geht's ihm wie seiner Partei.

Im Juso-Büro steht er noch immer hinterm Sofa, sie haben keine Eile mit dem Altpapier, sagen sie und lachen dabei, so dass man nicht ganz sicher sein kann, ob sie ihn wirklich entsorgen wollen. Woran sie dagegen keinen Zweifel lassen: Sie wollen eine neue SPD.

Der Wunsch ist fast so alt wie die Partei, und mancher, der heute fest im Sattel sitzt, ist einst als Jungsozialist selbst gegen Mauern gerannt. Einige von denen zeigen sich vielleicht auch deshalb durchaus angetan vom "Düsseldorfer Aufruf", mit dem die Jusos eine Erneuerung in sieben Punkten fordern. Bei aller Sympathie aber, die ihnen entgegengebracht werde, sagt Jana Volkhausen, habe sie Zweifel, ob auch jeder spätestens nach der Bundestagswahl "den Schuss gehört" hat. Es gehe, sagt die 29-Jährige, "um nicht weniger als um die Zukunft der Partei". Dass das pathetisch klingt, ist ihr bewusst. Aber es sei eben so. Und wenn schon Schüsse nicht gehört werden, dann hilft vielleicht ein bisschen Pathos.

Im SPD-Unterbezirk, der in der Wahlnacht lange um das Bundestagsmandat von Andreas Rimkus gezittert hat, ist Veränderung auch ein Thema. Beim Parteitag heute soll es deshalb viel um Inhalte gehen. Für die Jusos ist das nicht genug. Vorstandsmitglied Jana argumentiert sogar mit der FDP: "Die haben nicht ihre Inhalte geändert, sondern ihre Struktur. Und die Art ihres Wahlkampfs." Mit Erfolg. Und deshalb haben sich die Jusos zu einem Ideenworkshop getroffen, und am Tag der Deutschen Einheit ihren "Düsseldorfer Aufruf" formuliert.

Dass der aus sieben Teilen besteht, ist nicht die einzige Parallele zum Godesberger Programm. Die Düsseldorfer Jusos haben zwar nicht über ein Jahr, aber doch viele Stunden daran gebastelt, sie haben viel gestritten und um jedes Wort gerungen - und ganz einig sind sie sich trotzdem nicht bei allem. "Nicht nur Currywurst", heißt es da etwa in Anspielung auf einen Parteislogan von 2012, und während es für den Juso-Vorsitzenden Thomas Peußer um Nachhaltigkeit und Toleranz gegenüber Nicht-Fleischessern geht, versteht Stellvertreterin Jana darunter auch die Abwendung von "Ruhrgebiets-Romantik" und "Kohle-Nimbus". Um Ökologie geht es allemal, darauf kommt es ihnen an. Dass in den meisten Ortsvereinssitzungen das Schnitzel öfter geordert wird als der Salat, stört die Jusos nicht. Bloß wollen sie nicht länger hinnehmen, dass auch in der SPD nachhaltige Lebensstile als "grünes Weltverbessertum" belächelt werden. Sie wollen vielmehr einer Partei angehören, die "positive und mutige Visionen vermittelt".

"Wer Visionen hat, sollte zur SPD gehen", heißt es im Aufruf aus Düsseldorf in Abwandlung des berühmten Helmut-Schmidt-Zitats. Einer Legende aus der Bonner Republik zufolge soll Schmidt an Willy Brandts Adresse den Rat gerichtet haben, bei Visionen doch zum Arzt zu gehen. Von Schmidt gibt es im SPD-Shop auch ein Poster. Aber die Düsseldorfer Jusos haben eines von Willy Brandt über ihrem Sofa hängen, und das wird da auch bei der nächsten und übernächsten Wahl noch so sein. Die Leitfigur wohl aller Jusos, sagt Thomas Peußer, und Jana Volkhausen kann nichts gegen das Leuchten ihrer Augen tun, wenn sie von Brandts Verdiensten spricht, und das "in einer wirklich schweren Zeit".

Einen mit Brandts Charisma finden sie in der SPD zurzeit so wenig wie Wahlergebnisse von damals mit mehr als 40 Prozent. Die schweren Zeiten erlebt vor allem ihre SPD-Generation. "Wir haben viele neue Mitglieder, auch nach der Wahlschlappe sind Leute zu uns gekommen", sagt Peußer. "Jetzt müssen wir dringend etwas tun, damit sie sich bei uns wohlfühlen. Und aktiv werden." In ihrem Aufruf steht das unter "Strukturelle Modernisierung": Parteitermine nicht regelmäßig vor 18.30 Uhr zu planen, damit auch Berufstätige teilnehmen können, mehr Transparenz und, "dringend", ein Generationenwechsel.

Natürlich haben sie nichts gegen die Älteren. Franca, mit 17 die Jüngste im Vorstand, könnte sich im Jugendrat längst nicht so gut behaupten, wenn nicht die älteren Genossen ihr bereitwillig und selbstverständlich zur Seite stünden. "Wir brauchen die Erfahrung der älteren Generation", sagt auch Peußer, und Jana will sie mitnehmen in die neue, digitale Zeit. "Viele sperren sich gegen den Fortschritt, weil sie fürchten, ausgegrenzt zu sein, wenn die Partei digitaler wird", sagt sie. Eine SPD-App wollen sie und eine Online-Plattform, die das aktive Mitmachen bei der Partei erleichtere. Aber, sagt Jana auch: "Es wäre schon schön, wenn wir auch mal Kandidaten aufstellen würden, die sich nicht nur dadurch auszeichnen, dass sie seit 40 Jahren in der SPD sind."

Sie wollen Offenheit. Mit den Linken zumindest reden dürfen. Und über die Korrekturen, die an der Agenda 2010 vielleicht nötig sind. Keine Eitelkeiten mehr und kein Parteisprech, sondern klare Worte und auch mal Selbstkritik.

Zwei Punkt ihres Aufrufs sind als Anträge auf der Tagesordnung des Unterbezirksparteitags angekommen. Die Jusos fordern, dass die Kommission, die im Vorfeld von Parteitagen die Anträge sichtet, nicht mehr gleichzeitig Beschlussempfehlungen geben darf. "Da werden dann oft nicht die Dinge verabschiedet, die die Basis will", sagt Jana. Und sie verlangen die Trennung von Amt und Mandat. "Im Idealfall", sagt Maximilian Lykissas, 18, "wird aus jedem unserer Punkte ein Antrag - und das auch bei der Bundes-SPD."

Ob der Düsseldorfer Aufruf einmal im Geschichtsbuch der Partei stehen wird, ist seinen Schöpfern egal. "Es ist ein Anstoß von unten", sagt Peußer. "Wichtig ist, dass er heute gehört wird."

Schließlich gehe es auch nicht um Geschichte. "Es geht ums Überleben der SPD."

(RP)
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