Kolumne Mein Düsseldorf Angst vor dem Flüchtling von nebenan

Düsseldorf · 90 Minuten lang sprach die Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch in Lörick mit den Bürgern. Diese begegneten ihr mit Besorgnis, Angst und Ärger. Deutlich wurde, dass viele von ihnen nur wenig über die Rechtslage in Asylfragen wissen.

 Die Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch stellt sich bei der Sprechstunde in Lörick den Fragen der Bürger.

Die Flüchtlingsbeauftragte Miriam Koch stellt sich bei der Sprechstunde in Lörick den Fragen der Bürger.

Foto: Andreas Bretz

Die Szene könnte Teil eines experimentellen Films sein. Oder eine Art Kammerspiel, weil sich die Örtlichkeit in den nächsten 90 Minuten nicht verändern wird. 50 Menschen sind in einem Raum, vielleicht 200 Quadratmeter groß. Die Stimmung ist gespannt, es gibt kaum freundliche Gesichter. Einige stehen im Hintergrund, manche gehen bald, andere kommen. Manche reden laut, manche ungefragt, manche melden sich mit erhobenem Arm, wie einst in der Schule: Bürgerversammlung im Stadtteil Lörick. Der Anlass: Auf einem Brachgelände am Rand des Stadtteils (später wird einer von dessen - nunmehr bedrohten - dörflichen Charakter sprechen) sollen bald Flüchtlinge wohnen. In neu konzipierten Holzhäusern. 420 Menschen - Familien mit Kindern, 20 oder mehr unbegleitete Jugendliche. Und: Die meisten der Flüchtlinge sind männlich, sie kommen aus muslimischen Ländern, hauptsächlich Syrien und Irak. Da geht ein Raunen durch den Saal - männlich, Moslem, Flüchtling: Da fällt sofort die Klappe. Bedrohung pur, ohne Zweifel. Kölns Silvester ist tief in den Köpfen.

Schleichende Islamisierung, zischt eine ältere Frau neben uns kaum hörbar in die Runde. Sie wird ab nun immer wieder halblaute Botschaften verkünden, nervös zuckt ihr Kopf hin und her, nur Fragmente sind zu verstehen, immer klingen sie aggressiv, von Angst getrieben. Nur einmal wird sie laut - und wirft der vorne vortragenden Frau vor, zu lügen, als diese sagt, dass es in Düsseldorfer Flüchtlingseinrichtungen bisher keine nennenswerten Probleme gegeben habe.

Die Vortragende - es ist Miriam Koch. Eine Grüne, über Jahre sozialisiert im Polit-Geschäft. Geschäftsführerin der Grünen im Rat, dann zur Flüchtlingsbeauftragten der Stadt ernannt. Sie ist gekommen, um Fragen zu beantworten. Und tut das auch - kühl, offen, klare Kante sprechend. Leider überschätzt sie den Kenntnisstand ihrer Zuhörer, glaubt offenbar, die Rechtslage in Asylfragen sei zumindest rudimentär bekannt. Ein Irrtum - die meisten haben keine Ahnung davon. Vermutlich wollen sie das nicht, sie haben ihr eigenes Bild von ihren Rechten und Pflichten. Verstört stellen sie neuerdings fest, wie wenig sich das derzeit mit der Realität deckt. Frau Koch klärt auf, ergänzt, widerspricht, erklärt, weist zurück. Und zeigt nur einmal Nerven, als ihr unterstellt wird, Teil einer großen Verschwörung zu sein - Pegida- und Lügenpresse-Stimmung.

Was dem weiblichen Politprofi entgegenschlägt, ist eine Mischung aus Unwissenheit, Besorgnis, Angst, aber auch Neugier oder - nichts. Kurioserweise schweigt mindestens die Hälfte der Versammelten - fragt nicht, spricht nicht, schimpft nicht, guckt nur, hört zu. Keiner kann ahnen, was die denken. Andere dagegen formulieren Merkwürdigkeiten: Furcht um die Kinder (die eigenen, nicht die der Flüchtlinge), man habe gehört, künftig solle das Tragen von Röcken verboten werden, manche der Ankömmlinge in anderen Camps seien per Taxi zum Arzt gefahren worden ("Für Deutsche gibt es das nicht!", zischt es neben mir, der Kopf ruckt vor und zurück, hin und her irrende Augen).

Im Schwimmbad solle es neue Kleidungsregeln geben, man müsse sich anpassen, habe man gehört - anpassen an diese Fremden. Viele junge Männer? Tickende Zeitbomben, wirft einer in die Runde, ganz klar. Eine jüngere Frau, Typ Boogaboo-Mutter, formuliert diese "Ich-habe-ja-nichts-gegen . . . , -aber. . . "-Sätze. Warum denn so viele Menschen? Könnten man nicht auch weniger unterbringen. Nein, sagt Frau Koch sehr kühl und verweist auf die Rechtslage. Der Gipfel der Hiobsbotschaften: Nachbarn hätten bereits versucht, angesichts der Situation ihr Haus zu verkaufen - aber keinen Käufer gefunden. Die Immobilie - wertlos! Klar - siehe oben: tickende Zeitbomben. Da kauft doch keiner. Besorgte Blicke. Einige scheinen das tatsächlich zu glauben. Andere grinsen - es gibt kaum eine begehrtere Wohnlage in Düsseldorf als dieser Ortsteil, mancher formuliert womöglich bereits Kaufangebote an die Flüchtlings-Flüchtlinge: "Ich hab gehört, Sie wollen verkaufen? Ich hätte Interesse!"

Entspannend für die Stimmung, als sich einer zu Wort meldet, dem man den Nicht-Löricker deutlich ansieht. Aus Iran stamme er, sagt der knapp 50-jährige Mann (aha - eine Ex-Zeitbombe, sozusagen!) in fast perfektem Deutsch, er lebe seit 27 Jahren hier. Was er gerade sieht und hört, amüsiert ihn sichtlich. Er will beruhigen und macht tatsächlich Eindruck, bietet seine Hilfe an, beschreibt sich und sein Lebensmodell ("Meine beiden Kinder sind Jahrgangsbeste am Ceciliengymnasium!") als Wunschbild der weitaus meisten Neuankömmlinge. Er ist nicht allein - Hilfsbereitschaft wird hier und da signalisiert: Wie kann man helfen, was muss man tun, was soll man tun?

Aber den sichtlichen und hörbaren Eindruck prägt die Gegenseite. Während die ältere Generation jedoch eher gelassen zu sein scheint (man hat schon so einiges er- und überlebt), sind die Jüngeren deutlich verunsicherter. Klar, sie hätten im Ernstfall auch mehr zu verlieren - wenn Löricks dörflicher Charakter leidet, weil auch in diesem Idyll "das deutsche Rendezvous mit der Globalisierung" (Wolfgang Schäuble) stattfindet.

(RP)
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