Serie So wohnt Düsseldorf An dieser Straße ist die Kunst zuhause

Düsseldorf · In der weißen Siedlung in Golzheim sind zehn Häuser mit Gärten ausschließlich für Künstler reserviert - seit fast 80 Jahren.

 Die Bildhauerin Hede Bühl umrahmt von ihren kolossalen Skulpturen in ihrem Spiegelgarten.

Die Bildhauerin Hede Bühl umrahmt von ihren kolossalen Skulpturen in ihrem Spiegelgarten.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Als sie dieses Haus zum ersten Mal sah, wucherten die Brombeeren fast bis in die Küche. Und überhaupt, "ziemlich verwahrlost war das damals hier." Wenn man heute das Reich von Hede Bühl betritt, kann man sich die wilde Vergangenheit ihres Hauses kaum noch vorstellen. Schon beim Öffnen des Gartentores ist sichtbar: Hier lebt eine Bildhauerin. In guter Gesellschaft. Denn die Franz-Jürgens-Straße in Golzheim gilt als einmalige Adresse in Deutschland, zehn schneeweiße Häuser werden ausschließlich von Künstlern bewohnt. Ein Ort starker Inspiration.

 Der Bildhauer und Musiker Peter Rübsam zeigt sein neuestes Werk, den Kopf eines Künstlerfreundes.

Der Bildhauer und Musiker Peter Rübsam zeigt sein neuestes Werk, den Kopf eines Künstlerfreundes.

Foto: hans-jürgen bauer

Im Laufe der Jahre entstand vor Hede Bühls Haus ein Skulpturengarten, ein Spielkabinett unter freiem Himmel. Da stehen ihre kolossalen Köpfe und Körper wie schweigende Wächter. Großformatige Spiegel, von exakt geschnittenem Lorbeer umrahmt, ermöglichen es, die Skulpturen aus Granit, Marmor, Stahl und Alabaster von verschiedenen Seiten gleichzeitig zu betrachten. Als poetisches Gegenstück dazu liegt ein Stillleben auf einem Gartentisch: eine Buddha-Hand hält die letzte Quitte des Sommers.

Seit 1980 lebt die Bildhauerin in ihrem Haus - "ein Glücksfall". Denn hier ist Platz zum Arbeiten, und zum Leben. Beides ohne Trennlinie. Nur ein paar Schritte von halbfertigen Skulpturen entfernt eine offene Küche, Telefonnummern und Notizen auf einen Türrahmen gekritzelt, überquellende Bücherregale, darüber in der ersten Etage ein Raum für Ruhestunden.

In unmittelbarer Nachbarschaft lebt der Künstler und Musiker Peter Rübsam. Die Grundrisse der Häuser sind gleich, ihr Innenleben grundverschieden. Der Bildhauer bezeichnet sich als "Steinmann", eines seiner bekanntesten Werke ist der Stein gewordene Gustaf Gründgens im Hofgarten. Unter seinem Dach muss sich die Kunst den Platz mit der Musik teilen, im Atelier entsteht soeben die Büste eines Kollegen, den er nach vielen Jahren wieder traf. Hinter einer Glaswand, in einem winzigen Wohnraum, steht ein Flügel, daneben liegt ein Banjo, das Saxophon ist gerade im Schlafzimmer - um nur einige der Instrumente zu nennen, die Rübsam regelmäßig spielt. Dudelsäcke gehören auch dazu. "Aber hier beschwert sich niemand, auch wenn es mal laut wird", sagt er. Im Gegenteil: Die Nachbarn kommen gern zum Zuhören, wenn er jeden Mittwoch mit seiner Jazz-Band "Dat Kaiser Trio + One" probt.

Klingt nach Idylle. "Wir haben einen guten Kontakt zueinander, helfen uns gegenseitig", bestätigt Hede Bühl. Ansonsten aber leben in dieser Siedlung Individualisten, das schließt gelegentliche Rivalitäten unter Kollegen nicht aus. Oder wie das die Künstlerin Corina Gertz formuliert: "Es gibt Tage, an denen ist es ganz gut, dass zwischen den Grundstücken Hecken wachsen." Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann, dem Fotografen Kris Scholz, und der Künstlerin Annette Leyener alle Bewohner der Siedlung in einem Buch und einem Dokumentarfilm porträtiert. Und die Geschichte dieses Ortes erzählt: Benannt wurde die Franz-Jürgens-Straße nach dem ehemaligen Chef der Düsseldorfer Schutzpolizei, der kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit anderen Bürgern die Stadt kampflos an die Amerikaner übergeben wollte. Die Gruppe flog auf, Jürgens und andere wurden hingerichtet.

Mit der in den 1930er Jahren entstandenen Golzheimer Mustersiedlung wollte das nationalsozialistische Regime seine Vorstellungen von "deutschem Wohnen und deutscher Kunst" demonstrieren. Eine Straße war schon damals für Künstler reserviert. Weiß geschlämmter Backstein, Satteldächer, Kachelöfen - jedes Detail war exakt vorgeschrieben. Die Mieten waren (und sind bis heute) günstig. Allerdings haben Mietverträge der Städtischen Wohnungsgesellschaft in jüngster Zeit für Unruhe gesorgt, denn sie gestatten für eines der Häuser mit mehreren kleinen Ateliers künftig nur noch eine "gewerbliche Nutzung", heute wohnen die Künstler dort auch - auf engstem Raum.

(RP)
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