Serie So Wohnt Düsseldorf Am Pfarrhaus steht die Pforte immer offen

Düsseldorf · Wie lebt es sich mitten in der Gemeinde, ohne geregelten Feierabend? Pfarrer Breitkreutz sagt: "Ich will Nähe, keine Distanz."

 Mitten im Leben: das Pfarrhaus an der Kopernikusstraße. Manchmal klingelt schon um 5 Uhr morgens der Erste.

Mitten im Leben: das Pfarrhaus an der Kopernikusstraße. Manchmal klingelt schon um 5 Uhr morgens der Erste.

Foto: Andreas Endermann

In der Diele steht ein Korb mit Äpfeln. Wer mag, kann sich bedienen. Viele greifen zu, die auf dem Weg nach nebenan sind - ins Dienstzimmer von Pfarrer Ralf Breitkreutz. Seit 13 Jahren lebt er mit seiner Familie direkt neben der Lutherkirche in Bilk. Büro und Wohnung sind auf derselben Etage, hier gibt es weder feste Arbeitszeiten, noch einen geregelten Feierabend. Manche Menschen, die Hilfe erhoffen, klingeln am späten Abend. Einfach so. Sie wissen, dass die Gartenpforte des Pfarrhauses nie geschlossen wird. Denn Pfarrer Breitkreutz hat ein offenes Haus: "Ich will Nähe zu den Menschen, keine Distanz."

Sie gehört nicht zu den ältesten Düsseldorfer Kirchen, eine interessante Geschichte hat sie trotzdem: Die Lutherkirche an der Kopernikusstraße, nur ein paar Schritte entfernt vom donnernden Verkehr des Südrings, wurde 1927 gebaut. Ursprünglich war sie deutlich größer geplant, mit 1200 Sitzplätzen und einem imposanten Glockenturm. Aber dann ließ die Weltwirtschaftskrise alle Pläne schrumpfen: Der Raum, der einst als Gemeindesaal konzipiert war, wurde nun zur Kirche. Mit den Nebengebäuden entstand ein etwas streng wirkendes Backstein-Ensemble, eindeutig vom Bauhaus-Stil beeinflusst, das wie ein Pendant zu Ehrenhof und heutiger Tonhalle wirkt, die zur gleichen Zeit entstanden.

 Ralf Breitkreutz in seinem Arbeitszimmer. Feste Bürozeiten hat der Pfarrer nicht. Den Sonntagabend versucht er, frei von Verpflichtungen zu halten.

Ralf Breitkreutz in seinem Arbeitszimmer. Feste Bürozeiten hat der Pfarrer nicht. Den Sonntagabend versucht er, frei von Verpflichtungen zu halten.

Foto: Endermann, Andreas (end)

In den Zeiten der Nazi-Diktatur galt diese Kirche als ein Zentrum des Widerstands. Der damalige Pfarrer Joachim Beckmann sollte mit Predigtverbot mundtot gemacht werden, "aber er verlegte seinen Gottesdienst in die umliegenden Kneipen", so Breitkeutz. Dann geht er voran in den Keller seines Hauses und weist auf eine verschlossene Tür: "Dahinter sind Geheimgänge, die das Pfarrhaus unterirdisch mit seinen Nachbargebäuden verbinden - möglicherweise wurden sie als Fluchtwege genutzt." Heute steht der gesamte Kirchen-Komplex unter Denkmalschutz, um den Originalzustand zu erhalten. Das bedeutet, dass weder die Treppenstufen zum Pfarrhaus noch die Damentoilette der Kirche bei der letzten Renovierung vor drei Jahren verändert werden durften - "deshalb konnten wir nicht mal die alten Waschbecken erneuern."

Und so blieb auch das Pfarrhaus seit fast 90 Jahren unverändert: Ein zweigeschossiges, geräumiges Gebäude mit Garten, das auch einer Familie mit drei Kindern (die mittlerweile erwachsen sind) ausreichend Platz bot. "Wir leben hier sehr präsent", sagt Breitkreutz und meint damit: ganz nah bei den Menschen - und ihren Sorgen. Manchmal ruft schon morgens um 5 Uhr jemand an, "weil er die Telefonseelsorge nicht erreichen konnte." Manchmal klingelt noch abends um 22 Uhr jemand, Menschen, die Breitkreutz "Durchreisende" nennt. Obdachlose, die auf Hilfe hoffen oder einfach nur ihre Geschichte erzählen wollen. "Bargeld bekommen sie bei mir nicht, aber wenn jemand Hunger hat, schmier' ich ihm ein Butterbrot."

Aber will nicht auch ein Pfarrer mal seine Ruhe haben? Fühlt sich die Familie nie gestört? "Ich hab' auch mal Feierabend, spätestens sonntags beim Tatort", meint er lachend. Aber ansonsten gilt, dass er ansprechbar sein will. "Und meine Kinder waren ja immer daran gewöhnt, die sind heute sehr gastfreundlich." Wenn er wirklich mal abtauchen möchte, dann fährt er ein paar Tage nach Holland, da hat er ein Segelboot, "aber ein ganz kleines, ganz bescheidenes Boot." Nicht dass einer glaubt, der Pfarrer besäße eine Yacht.

In seinem kleinen Arbeitszimmer, mit Büchern bis zur Decke ("alles theologische Fachliteratur") und einem schlichten Kreuz an der Wand, fällt ein großes, abstraktes Bild auf, auf dem die Konturen eines Gesichts auftauchen wie durch Nebel. Das hat der Pfarrer gemalt, als er noch mehr Zeit hatte. Über seinen Beruf sagt er: "Ich komme mit allen Facetten des Lebens in Berührung, treffe Menschen in extremen Situationen, die um einen geliebten Menschen trauern oder voller Freude ihre Hochzeit planen."

Als Pfarrer Ralf Breitkreutz seinen Gast zur Haustür begleitet, vorbei an leicht vergilbten Schiffsfotos und einem Rettungsanker, fragt er ganz beiläufig zum Abschied: "Wollen Sie nicht doch einen Apfel mitnehmen?"

(RP)
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